Foto: © Antonio Diaz - Fotolia.com

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Smartphone, Tablet und Computer üben eine Faszination aus, der sich kaum einer entziehen kann. Junge Menschen schon gar nicht. Sie wachsen mit diesen Dingen auf und die sind schlicht DAS Kontaktmittel in ihren Lebenskreisen. Ungeliebte Realität vieler Erwachsener.

Doch viele Informationen in der Welt der Jugendlichen laufen über Apps, Messenger und Co., die nicht nur der Unterhaltung dienen. Die Mannschaft im Sportverein oder der Mathekurs in der Schule nutzen sie zur Abstimmung wichtiger Abläufe, wie z.B. Treffpunkten oder Hausaufgaben.

Was ist also das richtige Maß? Ein Gespräch mit Jörg Backes, Projektleiter des Kinder- und Jugendhauses Immenweg.

Hallo Jörg, du gehörst einer Generation an, die ohne Smartphone und soziale Netzwerke aufgewachsen ist. In der täglichen Arbeit erlebst du Jugendliche, die beides zur Verfügung haben. Haben sie es besser als frühere Generationen?

Eine einfache Antwort auf diese Frage lautet „Ja“. Aber wie bei so vielen komplexen Themen (und hier handelt es sich um ein solches) kann man diese Frage nicht ganz so leicht beantworten. Eigentlich müsste die Antwort „Ja, aber…“ lauten – das Problem ist nur, dass viele Menschen die „Abers“ so stark gewichten, dass sie Smartphones und soziale Netzwerke damit verteufeln. Ich versuche immer, positive Aspekte von neuen Entwicklungen zu betonen und vor negativen Aspekten zu warnen.

Nach dieser Klarstellung nun erstmal zu den „Abers“: Smartphones und soziale Netzwerke sind eine Bereicherung, aber

… sie sollen das reale Leben nur ergänzen, nicht ersetzen,
… sie beinhalten Gefahren, vor denen man vor allem jüngere Menschen warnen sollte,
… im Umgang mit ihnen benötigt man Regeln, die man erst lernen muss,
… die Art ihrer Nutzung sollte immer wieder kritisch hinterfragt werden.

Diese „Abers“ gelten letztlich für die meisten Dinge, die im Leben eine Rolle spielen. In jedem Aspekt des Lebens schlummern neben viel Nutzwert auch viele Gefahren, die man weder verharmlosen noch überbewerten sollte. Ich kenne Menschen (ganz klischeehaft eher Menschen der älteren Generation), die sich immer wieder aufregen über die intensive Handynutzung der Jugend, die die neue Art der Kommunikation nicht verstehen und auch nicht verstehen wollen. Aber in meinen Augen verkennen diese Menschen eines: Auch ihre Eltern haben sich vielleicht aufgeregt über die Art, wie sie die Dinge in ihrer Jugend angepackt haben. Jede Generation erfindet sich neu und nutzt dabei die Möglichkeiten, die die Welt ihr bietet. Vor fünfzig Jahren haben sich Eltern vielleicht über Rock’n’Roll geärgert, heute eben über Selfies. Mit anderen Worten: Akzeptiert den Fortschritt und helft dabei mit, das Beste daraus zu machen und die negativen Begleiterscheinungen abzumildern.

Hm, bin ein wenig abgeschweift. Die ursprüngliche Frage lautete ja, ob die „neuen Medien“ dafür sorgen, dass die heutige Jugend es besser hat. Die endgültige Antwort darauf lautet: Wenn sie verantwortlich und kritisch damit umgeht, auf jeden Fall.

Theorie und nun die Praxis – welche Auswirkung hat die neue Form der Kommunikation auf die Jugendarbeit. Ist sie eher kontraproduktiv oder nutzbar?

Zunächst einmal ist es gar nicht die Frage, ob wir diese neue Form der Kommunikation nutzen können (oder wollen) – wir müssen nun mal mit der Zeit gehen und uns den veränderten Kommunikationsmodellen der Jugend anpassen. Und daher finden diese Modelle ganz automatisch in der Jugendarbeit statt.

Die entscheidende Frage ist die Haltung, die wir in unserer Arbeit den „neuen Medien“ gegenübereinnehmen. Verteufeln wir sie? Beschränkt sich unser Einsatz darauf, vor den Gefahren zu warnen? Drängen wir sie aus der Einrichtung heraus oder verbieten sie gar bei uns? Nun, würden wir dies tun, wären wir recht schnell ein leeres Jugendhaus. Wir haben nicht die Wahl, ob wir diese neuen Möglichkeiten in unserem Haus Einzug halten lassen, sondern nur, wie wir dies tun. Ich würde unsere Haltung gegenüber Smartphones oder sozialen Netzwerken als „kritische Begeisterung“ bezeichnen. Das bedeutet, dass wir die Möglichkeiten in möglichst vielen Facetten nutzen, aber trotzdem auch die negativen Aspekte nicht vergessen.

Eine kleine Anekdote: Als es so richtig losging mit den Handys, als jeder Zehnjährige eines hatte, da sahen wir nur die negativen, ja kontraproduktiven Auswirkungen davon. Wir sahen Kinder und Jugendliche, die nebeneinander auf der Couch saßen und nur über What’s App kommunizierten (wohlgemerkt miteinander), wir sahen die Schwierigkeiten, auch nur eine Partie Monopoly zu spielen, die nicht ständig von Handy-Benutzerei unterbrochen wurde, wir sahen Kids, die zu einem normalen Gespräch, das ausführlicher war als kurzer Smalltalk zwischen zwei Nachrichten, gar nicht mehr in der Lage zu sein schienen. Also legten wir mit aller pädagogischer Kraft los: Es gab Vollversammlungen, um allen ein Mitspracherecht zu geben, es gab Regeln, es gab eine „Medienecke“, um die Handynutzung zu kanalisieren. Monatelang doktorten wir an diesem „Problem“ herum, bezogen die Kids mit ein, beobachteten, ermahnten, setzten durch. Was es gebracht hat? Nun, wir konnten die immer komplizierter werdenden Regeln durchsetzen, aber es kostete uns – und die BesucherInenn – die Entspanntheit. Etwas, was weniger Thema sein sollte, wurde zum bestimmenden Thema. Nach vielen Gesprächen, sowohl im Team als auch mit den Jugendlichen, ist inzwischen die Handynutzung vollkommen freigegeben. Mit dem Unterschied, dass wir dieses Thema viel öfter, aber ohne pädagogischen Zeigefinger, thematisieren. Sowohl wir Betreuer als auch die Kinder sind inzwischen viel wachsamer, wenn sich jemand isoliert, aber ohne Moralkeule. Es gibt keine diesbezüglichen Regeln mehr, außer der, seine Gefühle offen zu sagen, wenn man sich gerade missachtet fühlt. Das funktioniert erstaunlich gut.

Richtig genutzt sind die neuen Medien eine Bereicherung. Es macht Spaß, einen Videoclip zu drehen, wenn man ihn danach auf Youtube vielen Menschen zeigen kann. Und auch What’s App wird von uns intensiv genutzt. Wir haben einen eigenen Chat-Kanal, in dem wir neue Angebote oder Aktualisierungen unkompliziert an unsere BesucherInnen weitergeben können. Auch Fragen oder Vorschläge werden dort gesammelt und gegebenenfalls von Angesicht zu Angesicht diskutiert. Handzettel benutzen wir so gut wie gar nicht mehr – über Facebook erreicht man viel mehr.

Mit anderen Worten: Wenn man es zulässt, dass die neuen Medien kontraproduktiv sind, dann werden sie das auch sein. Aber bei cleverer Nutzung können sie sehr produktiv sein.

Ein Blick in die Zukunft: Werden diese Jugendlichen, Experten der Mediennutzung, als Erwachsene in der Lage sein, sozial zu agieren, Gemeinschaft zu leben, Menschen von Angesicht zu Angesicht wahr zu nehmen? Oder müssen wir künftig tatsächlich mit einer immer unpersönlicheren Welt zurecht kommen?

Diese Frage zielt genau auf die – teils irrationalen, teils berechtigten – Ängste ab, die die Menschen zu allen Zeiten gegenüber Neuerungen hatten. Fortschritt bedeutet Veränderung, aber der Teufel, den viele an die Wand malen, kann ich nicht erkennen. Die Individualisierung und Spezialisierung moderner Gesellschaften hat zur Folge, dass wohlbekannte Abläufe und Kommunikationsmethoden neu definiert und anders durchgeführt werden. Natürlich muss dieser Prozess immer wieder neu kritisch hinterfragt und beleuchtet werden – aber nur, weil man sich das soziale Miteinander beim Wäschewaschen am Flussufer wieder herbeiwünscht, sollte man nicht die Waschmaschinen verbieten.

Idealerweise sollte man andere Menschen „von Angesicht zu Angesicht“ wahrnehmen, doch das ist nicht immer möglich und auch nicht immer erwünscht. Heutige Jugendliche sind tatsächlich Experten der Mediennutzung, aber dieses Expertentum sorgt auch für einen entspannten Umgang damit (wenn man immer wieder kritisch hinterfragt). So wie sich frühere Generationen nicht vorstellen konnten, dass ihre Hippie-Kinder mal zu verantwortungsbewussten Erwachsenen reifen würden, so ist auch heute die Angst vor einer „unpersönlichen“ Welt übertrieben. Ich bin überzeugt, dass die künftigen Generationen sich wundern werden über unsere heutigen Probleme und Ängste mit den neuen Medien – sie werden sie ganz selbstverständlich nutzen und ihren Alltag und ihre sozialen Kontakte pflegen und bewahren.

Unter den Erwachsen gibt es diejenigen, die alle Möglichkeiten der neuen Medien nutzen und diejenigen, die sich komplett verweigern. Auch unter Jugendlichen gibt es den Trend, sich wieder von Medien weg zu orientieren. Nimmst du diesen Zwiespalt zwischen den beiden Lager in deiner Arbeit wahr?

Es gibt hin und wieder vereinzelte Tendenzen, sich von den neuen Medien weg zu orientieren. Ich würde aber keinesfalls soweit gehen, dies als Trend zu bezeichnen – die Nutzung der neuen Möglichkeiten integriert sich vielmehr immer fester in den Alltag der Kinder und Jugendlichen.

Die angesprochenen Tendenzen sind eher Einzelfälle, wenn jemand aus persönlichen Gründen weniger „online sein“ möchte. Hin und wieder bekommt jemand eine „kritische Phase“ und stellt die Mediennutzung generell infrage – meist sind diese Phasen aber (alterstypisch) nicht sehr fundiert begründet und auch schnell wieder vorbei. Andere gehen nicht mehr online, weil sie Liebeskummer haben und allgemeinen pubertären Frust schieben – die Verweigerung ist dabei durchaus was Besonderes und garantiert Aufmerksamkeit („was, du gehst nicht mehr on?!?“). Und auch der  Erreichbarkeitsterror, dem sich Jugendliche ausgesetzt fühlen („warum antwortest du nicht, ich hab’ dir doch schon vor 10 Sekunden geschrieben“) führt manchmal dazu, dass jemand kürzer treten möchte. Dies sind aber nur kurze Phasen – sie sind rasch wieder vorbei, wenn die durch die Vermeidung hervorgerufene Ausgrenzung zu schmerzhaft wird.

Eine Wegorientierung kann ich also bei Erwachsenen oft erkennen, bei Jugendlichen so gut wie nie.

Was empfiehlst du Eltern, die überhaupt keinen Zugang zu neuen Medien, aber jugendliche neugierige Kinder zuhause haben?

Das kommt darauf an, warum sie keinen Zugang haben: Aus Geldmangel oder aus Prinzip?

Im Falle von Geldmangel würde ich raten: Tun Sie den Wunsch der Jugendlichen nicht ab („haben wir früher nicht gebraucht, es geht auch ohne“). Für die Kinder ist es – dazu kann man stehen, wie man will – enorm wichtig, an der Mediennutzung teilzuhaben. Dies nicht zu können, bedeutet für sie Leid und Ausgrenzung. Natürlich sollte man auch andere, „angesehenere“ Hobbys fördern (Sport, Musik), aber die neuen Medien sollten ganz oben auf der Liste stehen, falls eine teurere Anschaffung möglich ist. Ein neues Fahrrad ist wichtig – aber ein neues Handy (bzw. überhaupt eines) auch.

Im Falle der mangelnden Zugangs aus Prinzip sage ich ganz provokant: Werden Sie vernünftig und indoktrinieren Sie die Kids nicht mit Ihrer ablehnenden Haltung. Auch wenn Sie die neuen Medien bescheuert finden: Ihre Kinder tun dies nicht. Beißen Sie in den sauren Apfel und ermöglichen Sie ihnen die Teilhabe an ihrer sozialen Gruppe. Auch Sie haben in Ihrer Jugend Dinge getan, die Ihre Eltern abgelehnt haben. Eine Abgrenzung von der Erwachsenenwelt ist wichtig und notwendig. Sie können die neuen Medien nicht aufhalten, also lernen Sie lieber, damit umzugehen und Ihre Kinder kritisch, aber positiv dabei zu begleiten.

Ganz persönlich: Du hast eine medienfreie Jugend erlebt, nutzt sie heute tagtäglich … aus Überzeugung oder um Mitreden zu können?

Ich gehöre nicht zu den Gewohnheits-Nostalgikern und nutze die neuen Medien aus Überzeugung. Vieles daran ist lachhaft und sinnfrei (das sind viele andere Beschäftigungen auch), aber sehr vieles daran hat Sinn und Nutzen. Es ist immer wieder lustig, wenn ich meinen Kids erzähle, dass wir in meiner Jugend weder Handy noch Internet hatten, dass es nur drei Fernsehprogramme gab, dass man keine Videos auf YouTube schauen konnte und ein neues Lied erst mühsam im Plattenladen kaufen musste. Die können das dann immer kaum glauben. Natürlich hatte ich eine schöne Kindheit – aber dennoch beneide ich die heutigen Kids um die Möglichkeiten, die sie haben (und oft gar nicht zu schätzen wissen). Ich wünschte ernsthaft, ich hätte diese Möglichkeiten auch gehabt.

Ich bin also „Überzeugungsnutzer“ und würde sogar soweit gehen, die Möglichkeiten weiter auszubauen (die Nutzung von Tablets anstelle von Büchern in der Schule ist z.B. ein großer Wunsch von mir, aber das würde hier jetzt zu weit führen).

Meine Motivation bei der Nutzung der neuen Medien ist also ganz klar Überzeugung.

Das Kinder- und Jugendhaus im Immenweg 10 bietet vielfältige Angebote für Heranwachsende aller Altersstufen. Neben dem offenen Bereich beinhaltet der Aufgabenbereich auch verschiedenste Kreativangebote, Theater-, Video-, Tanzgruppen, Ferienangebote, Cafébetrieb, Computer-Infos, Beratungsangebote, Familienbildungsarbeit … und vieles mehr.

Das Interview als Audiodatei: 

Ein Gespräch mit Anna Schmidt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“
Mai/Juni 2016 des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
Erhältlich im iTunes-Store oder hier als interaktives Pdf