szs_mittelpunkt_november-2016_s6Am Anfang war es nur ein Spaß, der Reiz, etwas Verbotenes zu tun, dazu zu gehören oder die Demonstration, erwachsen zu sein. Jahre später ist es eine lästige Sucht. Jeder, der Zigarettenraucher war oder ist, weiß, wie schwer es ist, diese Sucht wieder los zu werden. Manche schaffen es in drei Anläufen, manche brauchen sieben Anläufe, nur die wenigsten schaffen es mit dem einmaligen Entschluss. Darauf angesprochen, kann jeder Raucher alle logischen Gründe, nicht zu rauchen, herunterbeten, aber umsetzen kann er es nicht. Sucht und Verstand vertragen sich nicht.

Sucht ist heimtückisch, beginnt ganz harmlos und ausnahmslos niemand ist davor geschützt. Sucht im Frühstadium zu erkennen, ist fast unmöglich, weil sie harmlos beginnt. Die Selbstkontrolle verblasst bei fortschreitender Abhängigkeit und macht es dem Betroffenem immer schwerer, aus eigener Kraft den Ausweg zu finden. Unerheblich dabei, ob es die Abhängigkeit von einer Substanz oder einem Verhalten ist. Sucht hat immer das Ziel, belastende Gefühle abzuschwächen, zu vermeiden oder vermeintliche Erleichterung zu schaffen. Der Süchtige kennt keine Alternative, aber erkennt auch nicht, dass er krank ist und Hilfe braucht. Sucht ist als Krankheit anerkannt, aber in der Gesellschaft nicht.

Es ist die Überheblichkeit der Gesunden, die uns alle glauben lässt, dass es uns selber nicht treffen kann. Darin liegt ein fataler Fehler, da die Ursachen von Suchtverhalten vielfältig sind. Was anfänglich Erleichterung oder Belohnung war, wird schleichend zum Zwang. Das zu erkennen, ist schwierig, weil ein Süchtiger nichts besser kann, als sich und seinem Umfeld einzureden, dass eben nichts ist oder er alles im Griff hat. Glaubt er jedenfalls! Jede Sucht geht einher mit einer Persönlichkeitsveränderung, die das Umfeld sehr wohl bemerkt und wahr nimmt. Doch was tun. Sucht ist nicht gesellschaftsfähig und alles, was außerhalb der Norm, des Bekannten, liegt, wird geächtet. Der „Penner“ oder der „Suchti“ wird schnell geäußert und „Der muss erstmal in der Gosse liegen, bevor …“ sind schnelle, unbedachte Sätze. Das Umfeld schweigt, macht mit und deckt den Süchtigen, zu bemüht, den Makel des anderen nicht auf sich selbst, die Familie oder Firma, zu laden und leidet.

Vor jedem Ausweg steht die Einsicht, doch der Weg dahin ist lang. Der Süchtige sieht nur sich allein und den Drang, sich selber die nächste Erleichterung oder Belohnung zu verschaffen. Wie sehr er sein Umfeld in Mitleidenschaft zieht, kann er nicht sehen. Das Umfeld sieht und erkennt das Problem, aber braucht lange, um für effektive Lösungen bereit zu sein. So muss am Anfang des Auswegs aus der Sucht die Erkenntnis des Umfelds stehen, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Der Anfang des Auswegs für den Süchtigen selber ist die Einsicht der Krankheit. Doch selbst wenn die Einsicht gegeben ist, ist es ein langer Weg bis zur Bereitschaft, eine Kehrtwende anzutreten. Der Weg aus der Sucht erfordert ein Ziel, Konsequenz, Durchhaltevermögen und einen starken Willen. Kaum einer schafft es alleine – begleitende Hilfe und Unterstützung wird unabdingbar.

Bemerkt man Suchtverhalten eines nahestehenden Menschen, ist Hilflosigkeit und Verunsicherung meistens sehr groß. Was soll man tun oder vermeiden, unterstützen oder doch lieber nicht. In jedem Fall sollte man nicht urteilen oder Vorwürfe äußern, da der Süchtige insgeheim schon weiß, was verkehrt läuft. Die Vergangenheit, Sehnsüchte, Konflikte, Lebenssituationen können Gründe sein, die die Situation verursacht haben. Offenheit und Gespräche sind ein erster hilfreicher Schritt: Dem Süchtigen klar machen, was man bemerkt hat, Sorgen um das persönliche Wohl äußern und Hilfe anbieten auf dem Weg aus der Sucht, aber auch die eigenen Grenzen deutlich machen. Und in jedem Fall Hilfe von außen suchen. Niemand sollte mit Suchtproblemen alleine bleiben – nicht der Süchtige und nicht sein Umfeld. Der Weg aus der Sucht ist ein Prozess, der begleitet zum Erfolg und zur Persönlichkeitsveränderung des Süchtigen führt.

Und damit es erst gar nicht dazu kommt? Der menschliche Lebensweg ist von Problemen begleitet. Sie gehören zu uns und sind normal. Stark sein und sich nicht den Problemen beugen, schafft nicht jeder und meist kommen mehrere Dinge zusammen. Helfen kann nur ein offener und ehrlicher Umgang mit uns selber. Für eine Sucht sind wir selber verantwortlich, nicht die Umstände, nicht die Vergangenheit, keine andere Person. Eine Sucht als Problemlösung einzugehen, ist eine persönliche Entscheidung. Kein Verbot von Suchtmittel schützt davor. Aufklärung und Prävention vermeidet aber sehr wohl grenzwertiges Verhalten. Eltern, die nur Verbote durchsetzen, haben meist weniger Erfolg als Eltern, die sich in offenen Gesprächen und begleitend mit dem Nachwuchs auseinander setzen. Eltern, die im Gespräch, dem der Nachwuchs zuhört, äußern, dass der Nachbar schon wieder besoffen war, vermitteln Kindern, dass „besoffen“ schlimm und schwach ist … sitzen aber oft selber bei einem Glas Wein. Bevor wir über Sucht urteilen, sollten wir versuchen, die Geschichte und den Menschen hinter der Sucht zu sehen. Niemand geht freiwillig eine Sucht ein. Niemand ist vor Sucht in ihren vielfältigsten Formen geschützt. Niemand kann uns davon abhalten. Aber wir alle können dazu beitragen, dass Sucht in der Gesellschaft angenommen, nicht geächtet und offen kommuniziert wird. Ein wirklicher Held ist der Süchtige ohne Sucht.

Anna Schmidt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

szs_mittelpunkt_november-2016_titelEin Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ November/Dezember 2016 mit dem Leitthema „Sucht“
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