Georg Zinner Alles sah danach aus, als würde die Woche so angenehm und erfolgreich zu Ende gehen, wie sie angefangen hat. Gute Termine, gute Sitzungen, gute Besprechungen mit guten Ergebnissen. Doch dann ging gestern mitten in der Sitzung unserer “AG Leitbild” die Tür des Besprechungsraums auf. „Stephan Wagner ist am Telefon … ich soll dich unbedingt sofort aus der Besprechung holen …“ höre ich die Kollegin sagen. Am Telefon dann Stephan mit unfassbar trauriger Stimme: „Georg ist tot. Herzinfarkt. Mittwoch Abend.“

Es dauerte eine Weile bis ich realisiert hatte, was Stephan gerade sagte … : Georg Zinner, der Geschäftsführer des Nachbarschaftsheim Schöneberg, ist tot. D.h, eigentlich war er gar nicht mehr Geschäftsführer – denn er ist zum 31.12.2013 in den „Ruhestand“ gegangen und war seit dem 1.1.2014 Vorsitzender des Vorstandes des Nachbarschaftsheims. Vorsitzender des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit und mit Mitglied des Vorstandes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes …

Ich bin unglaublich traurig. Fassungslos.

Ich habe Georg kennengelernt, kurz nach dem wir unseren ersten kleinen Treffpunkt in der Lankwitzer Wedellstraße eröffnet haben. 1995. Wir eine kleine Initiative mit Lust auf Nachbarschafts- und Stadtteilarbeit, er der „Leuchtturm“ der deutschen Nachbarschaftsheimbewegung. Größer hätte der Unterschied nicht sein können. Und schon in der ersten Begegnung mit ihm war mir klar, dass dies ein ganz besonderer Mensch war. Georg hatte eine Vision. Georg hatte Ideale. Georg war ein freier Geist, der sich durch nichts und niemanden würde aufhalten lassen, wenn ihm die Angelegenheit wichtig und richtig erschien oder er Missstände anprangern und – vor allem – verändern konnte. Ich kenne niemanden, der so engagiert und so leidenschaftlich gestritten und sich eingesetzt hat für offene, bürgernahe und menschenfreundliche Strukturen und Einrichtungen wie Georg Zinner. Schlechte Leistung und Ressourcenvergeudung, Nichtachtung von Bürgerinteressen, Ignoranz und Selbstherrlichkeit waren ihm ein Gräuel. Oft hörte ich seine Forderung, offensiv und konsequent staatliche Einrichtungen in freie Trägerschaft zu überführen – weil nur so gewährleistet sei, dass sich die Einrichtungen und Institutionen für die Anliegen  und Bedürfnisse und vor allem für die Mitwirkungs- und Beteiligungsansprüche der Bürgerinnen und Bürger öffnen würden. Er kämpfte für Kitas und Jugendprojekte in frei-gemeinnütziger Trägerschaft genauso wie für Senioren- und Nachbarschaftshäuser, die für die Menschen im Stadtteil da zu sein hatten … “Offen für Alle“ – das war sein Mantra. Das war und ist das Mantra der Nachbarschaftsheimbewegung in Berlin, in Deutschland, die ohne ihn niemals so erfolgreich und bedeutsam geworden wäre, wie sie ist.
Das Nachbarschaftsheim Schöneberg ist unter seiner Führung zur „Mutter aller Nachbarschaftsheime“ geworden. Ein Unternehmen (ein Begriff, den er für das Nachbarschaftsheim eher nicht so gern gewählt hätte), das täglich unter Beweis stellt, dass es ein guter Weg ist, sich vehement für die Verwirklichung seiner Ideale und Ziele einzusetzen.

Bei alledem war Georg vor allem immer eins: ein unglaublich bescheidener Mensch. Gerade in der Anfangszeit meiner Arbeit als Geschäftsführer im Stadtteilzentrum Steglitz habe ich ihn oft angerufen und um Rat gefragt, brauchte Tipps, wollte etwas von seinem Wissen abzapfen oder einfach nur ein Feedback oder eine Einschätzung von ihm hören. Er hatte immer Zeit. Das hat mich  gewundert – denn er hat immer sehr sehr viel gearbeitet – und ich habe ihn mal drauf angesprochen, wie es kommt, dass er das immer hinkriegt spontan für mich „zur Verfügung“ zu stehen … Seine Antwort begleitet mich bis heute – und der Satz beschreibt hervorragend, wie Georg gestrickt war: „Keine Zeit zu haben, ist die unangenehmste Art sich wichtig zu machen.“
Fast schon peinlich war es ihm, als ich ihn  vor etlichen Jahren mal auf sein “erstes Handy“ ansprach (das war zu einer Zeit, wo es für die meisten Menschen schon kaum noch vorstellbar war, ohne  Mobiltelefon das Haus zu verlassen). Es klingelte – und ich zeigte mich erstaunt… „Wow, Georg, seit wann hast Du denn ein Handy?“ … „Meine Mitarbeiter meinten ich brauch unbedingt eins …“ Und wer wurde sogar ein kleines bisschen rot.

Es gab auch ein, zwei Situationen, da standen wir uns als „Konkurrenten“ gegenüber. (Wobei der Begriff bezogen auf Georg wirklich hinkt …). Wir haben uns um die Trägerschaft für die gleichen Kitas beworben … Ich habe auch in dieser Wettbewerbssituation viel von Georg gelernt: Offenheit, Ehrlichkeit, Klarheit sind die wichtigsten Werte – auch und vor allem im Wettbewerb miteinander.  Kommunikation muss immer so gestaltet sein, dass andere Menschen, dass  die Beziehungen zueinander niemals Schaden nehmen. Wir haben uns immer über die Erfolge des anderen gefreut. Ehrlich und aufrichtig.

Mit Stolz hat mich erfüllt (und das tut es auch heute noch … und gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe), als er mir zum 10. Geburtstag unseres Vereins einen Brief schickte, in dem er uns gratulierte und mir schrieb, dass ich „einer der interessantesten Geschäftsführer der Stadt“ sei … Wow … ich bin damals ziemlich beeindruckt gewesen. Und ich weiss gar nicht so genau, ob ich mich bei Georg für dieses Kompliment und für diese langanhaltende Ermutigung und Stärkung bedankt habe.

Nun ist es zu spät. Georg ist tot. Er starb am Mittwoch Abend bei einer Veranstaltung. Er hielt einen Vortrag und erlitt kurz danach einen Herzinfarkt. Reanimierungsversuche bleiben erfolglos.

Das Stadtteilzentrum Steglitz e.V., alle Kolleginnen und Kollegen, die ihn kannten … und ich ganz persönlich: Wir  verneigen uns vor diesem wahrhaft großen Mann. Er war ein Freund unseres Vereins und für mich persönlich das größtmögliche Vorbild. Die Lücke, die er hinterlässt, kann nicht geschlossen werden.

Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und seiner Familie.

Tschüss Georg … ich bin sicher, dass Du nun aus dem Himmel ein Nachbarschaftsheim machst, in der Hölle aufräumst und den guten Gott davon überzeugst, dass er gut auf die Nachbarschaftsheime und die Bürger- und Stadtteilzentren hier unten bei uns aufpassen soll …

Voller Hochachtung.
Thomas Mampel