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10 Ausgaben der Stadtteilzeitung konnten wir Ihnen in diesem Jahr an die Hand geben. Wir hoffe, Sie haben viele interessante Beiträge gefunden und Ihnen hat gefallen, mit welchen Themen wir uns beschäftigt haben. 2014 stehen wieder 10 spannende Ausgaben an. Wir freuen uns auf diese Arbeit in einem sehr gutem und gewachsenem Team von ehrenamtlichen RedakteurInnen – ihnen allen herzlichen Dank!

Frohe Weihnachten und herzliche Grüße aus der Redaktion der Stadtteilzeitung!

 

Viel Spaß beim Lesen der Geschichte unserer Redakteurin Angelika Lindenthal:

Der Tag, an dem das Glück CD findet

CD setzt sich an seinen Laptop, legt die Finger auf die Tastatur und starrt auf die weiße Seite. Das letzte Wochenende vor Weihnachten liegt vor ihm. Er schreibt die wöchentliche Kolumne, jetzt bereits seit 11 Monaten, für seine Zeitung. Gestern Abend erfuhr er vom Chefredakteur, dass sie dieses Mal bitte einen Bezug zu Weihnachten und zum Glück haben soll. Nichts Zynisches, nichts Komisches, nichts Kritisches. Die Leser sollen auf das Christfest besinnlich eingestimmt werden und in der Woche des Glücks (alle Medien zelebrieren sie) auch eine „glückliche Kolumne“ erhalten.

CD nimmt die Finger wieder von der Tastatur und legt sie ratlos in den Schoß. Er lebt allein, Familie – Fehlanzeige. Weihnachten und Glück – diese Worte erzeugen bei ihm Assoziationen wie „Gekündigt werden und 1 Mio. im Lotto gewinnen“. Das erste macht ein ungutes Gefühl, an das zweite glaubt er nicht. Er starrt auf die weiße Seite, ihm fällt nichts ein. 3714473

Es klingelt. CD schaut auf die Uhr. Um diese Zeit klingelt es bei ihm nie. Die Post kommt erst nachmittags, Sektengruppen belagern schon lange nicht mehr in missionarischer Absicht Wohnungstüren, Freunde hat er nicht. Es klingelt wieder, diesmal ziemlich lang anhaltend. CD schleicht zur Tür. Durch den Spion sieht er eine junge Frau, die er nicht kennt. Nun doch neugierig öffnet er. Die junge Frau deutet auf sein Namensschild am Klingelbrett und dann auf ihn: Du CD, ja? Er glaubt am Klang dieser drei Wörter zu erkennen, dass ihre Muttersprache im osteuropäischen Raum angesiedelt sein muss. Ja, nickt er, ich bin CD. Jetzt kommen die schon an die Wohnungstür zum Betteln denkt er ärgerlich und will die Tür energisch schließen.

Die Frau lächelt ihn scheu an und versucht es in gebrochenem Deutsch weiter: Ich gefunden, von dir, richtig, ja? Damit greift sie in einen zerknautschten Baumwollbeutel einer großen Billig-Supermarkt-Kette und holt etwas hervor. Das Treppenhaus ist ziemlich dämmrig, in dieser Jahreszeit wird es überhaupt nicht hell. CD drückt den Lichtschalter, um besser sehen zu können. Die Frau streckt ihm etwas entgegen und ihm stockt der Atem. Das kann doch nicht wahr sein, es ist seine dunkelrote Brieftasche. Wie um alles in der Welt …? Er dreht sich ruckartig um. An der Garderobe hängt sein Mantel. Hektisch greift er in eine Seitentasche und greift ins Leere. Er ist fassungslos. Gestern Abend kam er todmüde aus der Redaktionssitzung und ging sofort zu Bett. Heute Morgen hatte er seinen Mantel noch nicht angefasst. Das alles schießt ihm in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf und auch das, und dabei wird ihm ganz flau, er hatte gestern Abend 500 € abgehoben. Heute Nachmittag will er sich einen neuen Fotoapparat kaufen. CD zahlt noch immer am liebsten altdeutsch cash. Vielleicht, weil ihm sein Vater einmal riet: Gib immer nur so viel Geld aus, wie du in der Börse hast.

CD nimmt die Brieftasche und versucht diskret, die Geldscheine zu zählen. Die Frau erkennt seine Absicht und radebrecht: Nichts weg, alles drin, wir nicht klauen, ja! CD schämt sich ein bisschen für sein Misstrauen. Was ist ihm alles an Unbill erspart geblieben: Neuer Ausweis, neue Fahrzeugpapiere, Kreditkarte sperren lassen (ja, doch, er hat eine für den Notfall), Blutgruppen-, Röntgen- und Impfausweis erneuern, muss man ja alles immer bei sich haben. Möchten Sie einen Moment herein kommen, fragt er. Er findet, das gehört sich in einem solchen Fall. Nein, nicht kommen, Kinder allein, kein Zeit, sagt die Frau. Einem Impuls folgend greift CD in seine Brieftasche, zieht 100 € heraus und reicht sie der Frau. Für Sie, und vielen, vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit. Die junge Frau weicht zurück und wehrt mit beiden Händen das Geld ab: Nicht Geld, alles deins, nicht ich, ja.

CD macht einen kleinen Schritt auf sie zu und hält ihr wieder den Schein entgegen. Für Ihre Kinder zu Weihnachten, bitte nehmen Sie doch. Zögernd greift nun die Frau nach dem Schein, zögernd und scheu steckt sie ihn in den zerknautschten Baumwollbeutel der Billig-Supermarkt-Kette. CD drückt nochmal auf den Lichtschalter, sie soll die Treppe nicht im Dunklen nehmen. Er gibt ihr die Hand.

Frohe Weihnachten sagt er und sieht dabei etwas auf ihren Wangen glitzern, etwas wie kleine Brillanten. Die junge Frau lächelt ihn glücklich an und eilt die Treppe hinunter. CD schließt die Wohnungstür behutsam, legt die Brieftasche auf die Flurkommode und setzt sich wieder an seinen Laptop. Er weiß jetzt, was er heute seinen Lesern schreiben wird.