Die Stellenanzeige für das neue Kinderspielmobil war seit Wochen online. Das Fahrzeug stand bereit. Kisten mit Spielmaterial, die keiner auspackte, stapelten sich. Dabei war das Konzept richtig gut und stichhaltig und hatte auch das Bezirksamt für die Förderung überzeugt. Der Druck, Kolleg*innen zu finden, die das Projekt an den Start bringen, wurde groß. Doch es kam keine Bewerbung an. Manchmal braucht es einen Zufall, um erfolgreich zu sein.

Irgendwo in einer Kita saß eine Kollegin, die die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit und eigene Perspektiven hinterfragte. Jedem geht es früher oder später so, dass man über Veränderung nachdenkt. In einem der vielen Gespräche darüber kam die Frage auf, ob sie sich schon einmal die Stellenanzeigen des eigenen Trägers angeschaut hatte. Und so sah sie die Stellenanzeige des Spielmobils, telefonierte mit dem zuständigen Kollegen und hatte einen neuen Job. Das Kinderspielmobil konnte – fast – losfahren.

Erst dann vertiefte sich Andrea Stockey in das Konzept des neuen Projekts und ahnte die Bandbreite an Möglichkeiten, die dieser neue Job bot. Sie begann Kisten mit Spielmaterial auszupacken, studierte Bedienungsanleitungen, testete selbst die Spielgeräte. Sie arbeitete sich immer weiter ein, lernte Materialien kennen, probierte aus, was sie aus Sicherheitsgründen wissen sollte, und erstellt eine Inventarliste. Fasziniert wurde ihr die Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten bewusst, die durch die Spielgeräte und das Fahrzeug sehr bald den Kindern im Bezirk eröffnet werden wird.

Anfänglich ist es für sie ungewöhnlich, dass sie sich ihre Arbeitstage vollkommen frei einteilt und selbstbestimmt arbeiten kann. Sie begann sich und das Projekt in den Einrichtungen des eigenen Trägers vorzustellen. Sie machte Termine aus und baute ein Netzwerk auf. Sehr schnell stellte Andrea fest, dass sie überall offen aufgenommen wird. Alle waren gespannt, was das Spielmobil zu bieten hat. Viele sind erstaunt, dass das Angebot kostenfrei ist und sehr viele erkennen schnell, wie groß der eigene Bedarf an genau so einer Möglichkeit ist. Das Spielmobil ist in kürzester Zeit über Monate ausgebucht und von Anfang an ein Selbstläufer.

Die großen Gewinner, wenn das Spielmobil kommt, sind die Kinder. Die Inventarliste liest sich wie das Schlaraffenland der Bewegung. Pedalos, Balanceboard, Stelzen, Hula-Hoop, Slackline, Jonglierbälle, Diabolo, Catch-, Spike- und Indiana Ball, Riesenmikado oder Wikinger Schach, Wurfspiele verschiedenster Art. Und das ist nur ein kleiner Auszug an Spielgeräten, die in dem Laderaum verstaut sind. Die Kinder entdecken Spiele, die sie noch nicht kannten. Sie können probieren, experimentieren und auch verändern. Eine Gruppe von Jungen lieh sich mehrere Hofpausen Springseile aus. Neugierig geworden, was es damit auf sich hat, stellte sich schnell heraus, dass eine Challenge lief, wer den besten Lassowurf um Baumstümpfe hinbekam. Auch die Poolnudeln dienen ohne Pool bestens zum Soft-Schwertkampf, bei dem nun wirklich niemand zu Schaden kommt. Es ist alles erlaubt, was Spaß macht, die Spiel-Fantasie anregt, in Bewegung hält und niemandem wehtut. Rangeln und Raufen, Kräfte messen gehört dazu und nur selten entsteht Streit um ein Spielgerät, weil gute Alternativen immer dabei sind. Einen Nachteil hat das Spielmobil allerdings: Die Zeit geht immer viel zu schnell vorbei. Die Jahreszeit hingegen spielt kaum eine Rolle. Sind im Sommer eher Wasserspiele angesagt, kommen im Herbst die Lenkdrachen in den Vordergrund und im Winter die Seifenkistenrennen oder Schlittenspiele. Möglichkeiten für Spaß und Bewegung lassen sich immer finden und den Gegebenheiten anpassen.

Die Begeisterung, mit der Andrea von ihrem neuen Job erzählt, steckt an. Sie ist auch lange nicht mehr allein. Milena ist als Kollegin mit im Boot, nein im Auto, und wenn es eng wird, unterstützt David das Team. Der Job beschränkt sich bei weitem nicht darauf, zu den Terminen zu fahren. Es warten viele administrative Aufgaben, die erledigt werden müssen. Anfragen beantworten, Termine koordinieren, Dienstpläne müssen aufgestellt, Materialien nachbestellt und aktuell gehalten werden. Gespräche zur Kooperation mit Sporthallen im Winter müssen geführt werden. Ein Kinderschutzkonzept für das Spielmobil muss erarbeitet werden. Zudem sind alle Spielmobile in den Berliner Bezirken und Brandenburg in einem regen Netzwerk verbunden. Hier werden Ideen getauscht, neue Spiele vorgestellt, pädagogische Fragen besprochen und einmal im Jahr gibt es ein großes Treffen aller Spielmobile.

Letztendlich ist das Spielmobil eine Art Eingangstür in die Welt der Kinder. Über das Spiel fassen sie Vertrauen, suchen Gespräche und erzählen aus ihrem Alltag. Ihnen wird zugehört und Unterstützung geboten. Es lässt sich eine Bindung aufbauen zu Kindern, die oft keine Vorbilder haben und viel auf sich allein gestellt sind. Kinder, die in keinem Sportverein sind, entdecken über die Spielgeräte neue Kompetenzen und Fähigkeiten, die sie stärken. Ein recht korpulentes Kind schaffte bei einer Gelegenheit als einziges den Balanceakt auf der Slackline. Der berechtigte Stolz darüber dürfte es lange Zeit getragen haben. Das Spielmobil macht Kinder- und Jugendarbeit dort möglich, wo sonst kein Sportverein, Kinder- und Jugendhaus oder Pädagoge hinkommt. Über das Spiel lassen sich kindliche Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche ermitteln, die sonst eher ungehört bleiben. Das Spielmobil schafft einen Zugang, wo andere Dinge versagen. Bei einem Besuch in einer Unterkunft für unbegleitete Geflüchtete zeigten sich die Betreuer*innen zu Beginn äußerst skeptisch. Herausgekommen ist ein Nachmittag, bei dem alle Jugendlichen balancierten, probierten, spielten und vor allem lachten. Sie versuchten Deutsch zu sprechen, so gut es geht, es wurde spontan gemeinsam gegrillt und sogar aufgeräumt. Und schließlich stand die Frage der Jugendlichen selbst, wann das Spielmobil wieder kommt. Das sind die Gelegenheiten, die stolz machen und die Sinnhaftigkeit dieser Arbeit besonders unterstreichen.

Der Erfolg des Spielmobils ist lange kein Zufall mehr. Ein gutes Konzept, erfolgreiche pädagogische Arbeit und viel Freude am Tun kommt genau dort hin, wo es hinsoll: Zu den Kindern und ihrer unmittelbaren Lebenswelt.

Die Termine und Orte des Spielmobils sind hier zu finden:
https://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/kinderspielmobil-szsteglitz/

Informationen und Kontakt: spielmobil[at]stadtteilzentrum-steglitz.org