… aber allein schaffst Du es nicht!

Wir alle haben unsere Monster und nur wir alleine können wissen, was sie wirklich sind. Für Außenstehende oberflächlich erkennbar, scheinen sie uns selbst durch eine Art Wahrnehmungsfilter nicht offensichtlich oder greifbar. Unser Bewusstsein steuert dem unterbewussten Wissen um die Existenz unserer Monster dabei häufig mit viel Kraft entgegen. Ihr Gesicht zeigen sie nicht offen. Sie nisten sich unter anderem als Ängste oder Süchte in uns ein. Sie beeinflussen uns, unser Denken und
Handeln. Allein sie als Monster zu identifizieren, ist schon schwer, aber sie zu bekämpfen? Ganz alleine? Sie sind mächtig und trickreich. Und das Schlimmste von allem: SIE SIND WIR!

Wie schwer es ist, sich eigene vermeintliche Unzulänglichkeiten einzugestehen, wissen wir wohl alle. Wie schwer es ist, sich das eigene Monster einzugestehen, wissen die Menschen, die sich ihre täglichen Schlachten mit ihnen liefern. Im Alltag eines Suchtkranken lauern hinter jeder Ecke Worte, Bilder, Töne oder Gerüche, die als sogenannte Trigger wirken und die Bestie wieder und wieder auf den Plan rufen. Sie flüstert, sie verlockt und verführt, sie zieht alle Register einzig, um dich der Versuchung erliegen zu sehen und dadurch Futter zu kriegen, um weiter zu wachsen.

Übertrieben? Martialisch? Warum Monster, Schlachten und Kämpfe? Nein, nicht übertrieben. Ja, martialisch. Als Kinder haben wir Angst vor dem Monster unter dem Bett, das wir uns selbst erdacht haben. Auch wenn sie ihre Gestalt verändert haben und in anderen Formen auftreten, sie sind da, sie sind wir und: Es sind Monster. Wer nur einmal in das Angesicht seines Monsters geblickt hat und sich entscheidet, seinen Tricks und Versuchungen zu widerstehen, der entscheidet sich zu kämpfen. Und es gibt Momente, in denen sind es wahre Schlachten, aus denen wir nur allzu oft ergeben und als Verlierer das Feld verlassen oder gar reglos liegen bleiben und nie wieder aufstehen.

Klingt ausweglos? Mitnichten! Millionen von uns stellen sich täglich ihrer Bestie und gewinnen den Kampf jeden Tag aufs Neue. Aber wie? Allein und mit aller Hilfe. „Nur Du allein kannst es schaffen, aber allein schaffst Du es nicht!“ Ein Satz, der im Zusammenhang mit Selbsthilfeangeboten immer wieder zu lesen und zu hören ist. Nur wir allein können es schaffen, uns uns selbst zuzuwenden und herauszufinden, was uns gut tut und was uns schadet. Und was uns gut tut, nimmt unseren Monstern die Kraft. Unser Umfeld, Freunde, Verwandte oder auch Therapeuten können uns immer nur darin unterstützen, die Bedingungen zu verbessern, unter denen wir unseren Ängsten oder Süchten begegnen.

Die Hilfe zur Selbsthilfe kann immer nur Wirkung entfalten, wenn wir bereit sind, sie anzunehmen. Dazu müssen wir allein erkennen und akzeptieren, dass unsere Monster real sind, auch wenn wir sie nicht sehen. Wir allein müssen die Entscheidung treffen, gegen sie anzutreten. Wir allein müssen unsere Ziele definieren. Und nur wir allein können uns Gründe geben, den Kampf einzugehen. Es kommt einem manchmal so vor, als wäre man nur auf sich gestellt und stünde auf dem Feld wie David vor einem übermächtigen Goliath, den zu besiegen wir nicht das nötige
Werkzeug mit uns führen.

Auch wenn wir uns dessen manchmal nicht bewusst sind, wir haben dieses Werkzeug. Es ist der Grund, aus dem wir uns für den Kampf entschieden haben. Es ist der Wert, den wir und andere in uns selbst sehen. In den Momenten, in denen wir diesen Wert selbst nicht schätzen oder gar erkennen, sind es unsere Familien und Freunde, auf die wir bauen müssen. „Sich das Leben nehmen. Interessanter Ausdruck. Hat man es getan, ist man nicht derjenige, der es vermissen wird. Der eigene Tod ist etwas, das anderen widerfährt.“ (Worte des berühmten Meisterdetektivs und bekannten Süchtigen Sherlock Holmes aus der Serie „Sherlock“) Unser Leben gehört nicht uns allein. Ob Heerscharen an Menschen, denen wir wichtig sind oder nur ein guter Freund – sie hinter uns zu wissen, gibt uns Kraft. Kraft um Goliath die Stirn zu bieten. Denn wenn wir uns umdrehen, stehen sie da und sind bereit, mit uns in die Schlacht zu ziehen. Sie erinnern uns daran, dass wir allein sind und alles was wir sind, mit unseren Stärken und Schwächen, lohnt, den Kampf auf uns zu nehmen.

Wir brauchen Hilfe, um stark genug zu sein, uns der Bestie zu stellen und das Feld als Sieger zu verlassen. Diejenigen von uns, die allein, ohne Familie, ohne Freund in diesen Kampf ziehen müssen, haben es in diesem Kampf ungleich schwerer. Aber auch sie können Menschen finden, die sie verstehen, die sie motivieren, die ihnen die Erinnerung an den Grund zurückbringen und die ihnen zur Seite stehen. Das Netz an Angeboten von Hilfe zur Selbsthilfe ist groß. Es kann uns auffangen. Wenn wir es erst einmal alleine geschafft haben zu erkennen, dass wir Hilfe brauchen, können wir es in den meisten Fällen mit ihr auch schaffen.

Kristoffer Baumann

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 1/2018 mit dem Leitthema „Alleinsein“
Das ganze Magazin können Sie als eBook oder interaktives Pdf herunterladen, die gedruckte Version, einschließlich dem Einleger mit allen Veranstaltungen des SzS, finden Sie in unseren Einrichtungen.