Am 9. November 2015 ging es bei uns in der Kiriat-Bialik-Halle los. Viele Artikel sind dazu bereits von vielen KollegInnen aus dem Stadtteilzentrum erschienen, besonders spannend war der Artikel zum Thema Heimat in der Märzausgabe der Stadtteilzeitung. Doch wie ist der Alltag bei uns? Welche Situationen treten innerhalb des Teams im Umgang mit Krieg, Flucht, Vertreibung und Tod auf? Was macht das mit einem selbst? Was macht das mit den Menschen innerhalb der Halle? Was macht das mit mir? Wie umgehen mit ständiger Unsicherheit und Ängsten unserer Mitbewohner in der Halle?

Für mich selbst kann ich feststellen, dass viele für mich bisher alltägliche Dinge an neuem Wert gewonnen haben und ungleich mehr von mir geschätzt werden. Sei es das heiße Bad nach einem anstrengenden Tag, die Freiheit kochen zu können, die Sicherheit, dass ich meine Familie Abends wieder sehe und schlichtweg ein Leben in Geborgenheit führe und auch die Chance habe so etwas wie einen privaten „fünfjahres“ Plan zu träumen und letztlich zu leben. Hier in der NU sind wir täglich mit den unmittelbaren Auswirkungen der Situation in Syrien, Pakistan, Iran, Irak und auch an Europas Grenzen konfrontiert. Doch ich möchte gar nicht auf die Situationen im Einzelnen eingehen, denn diese können wir nicht ändern, egal wie sehr wir uns das wünschen und auch egal wie sehr wir uns anstrengen. Was wir hingegen können, ist zu versuchen die Zeit bei uns gemeinsam mit unseren Mitbewohnern so schön wie möglich zu gestalten. Auch wenn viele Unklarheiten im Raum stehen, sei es die Ungewissheit, wann kommt der Umzug in eine andere Unterkunft, die Wegweisung durch das BAMF im Rahmen des „Königssteiner Schlüssels“, Abschiebung oder auch wann kommt die Aufenthaltserlaubnis, die eigene Wohnung, eine bezahlte Arbeitsstelle und der nächste Deutschkurs, versuchen wir täglich alles was in unserer Macht steht um für Abwechslung und Geborgenheit zu sorgen.

Nach den Eindrücken der ersten Wochen haben wir uns entschieden den Hauptfokus unserer Arbeit auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu legen um letztlich auch den Erwachsenen Freiräume zu schaffen. Denn eines konnten wir auch hier immer wieder feststellen, egal wie traurig ein Moment ist, egal wie niedergeschlagen jemand ist, das fröhliche und vergnügte Lachen eines Kindes hat schon vieles wieder etwas leichter werden lassen. Und auch uns im Team ereilen regelmäßig wunderschöne Momente, die teilweise selbst den hartgesottensten von uns nah an das Wasser führen, wie man so schön sagt.

Neben der eher kleinen Anekdote, dass am arabischen Muttertag ein jugendlicher Bewohner zu mir kam und mich reichlich unsicher auf einen Becher Cola einlud, da ich für ihn so etwas wie eine Mutter bin und er seine sehr vermisst. Ihm war es peinlich, dass er „nur“ eine Flasche Cola kaufen konnte und nicht mehr. Ich musste mit den Tränen kämpfen, es war einfach so unfassbar, wie viel zwischen den Zeilen in dieser Geste steckt und wie viel Bedeutung unsere Arbeit hier hat. Noch deutlicher wird das Wirken von kleinen Gesten an Ostern.

szs_nu1_3 Hier haben wir relativ kleinteilig im Rahmen der Kinderbetreuung Osternester von Kindern basteln lassen. Unser Caterer lieferte bunte Eier die wir nach kurzer Erklärung durch ein paar ausgewählte Bewohner verteilen ließen. Danach schwärmten unsere Kinder, einer lachenden und glucksenden Horde gleich, über das Gelände und suchte diese. Einen regelrecht putzigen Anblick lieferte dabei unser Junge im Rollstuhl, der scheinbar eine kleinere Gruppe von anderen Kindern anführte und diese mit scharfen Augen und Gesten delegierte. So verwunderte es keinen von uns, dass bereits nach kurzer Zeit sämtliche Eier gefunden waren. Doch damit nicht genug, so wurden die im Vorfeld für jedes einzelne Kind gebastelten Osterkörbchen mit Süßigkeiten und Kuscheltieren gefüllt, versteckt und gesucht. Dazu wurde einem Kind die Augen zugehalten während das Körbchen versteckt wurde. Dies führte zu vielen lustigen Momenten und auch zu der Frage einiger Erwachsener, ob sie auch etwas suchen oder auch verstecken dürfen. Na klar durften sie. Zu diesem Zweck hatten wir bereits einige Tage vorher viele mini Osterhäschen gekauft und auch diese wurden jetzt einzelnen versteckt und hoffentlich auch alle gefunden. Ein gemeinsames Essen in der Sonne rundete diesen Tag ab. In Erinnerung ist mir jedoch nicht nur wegen der vielen lachenden Kinder, sondern vor allem von der Aussage eines Bewohners, der zu mir kam und sagte, dass er noch nie einen so schönen Tag hatte, seitdem er geflüchtet ist und das er zum ersten Mal seit langem wirklich alles andere vergessen konnte und es einfach nur schön war. Das rührt mich selbst jetzt beim Schreiben noch und ist das wohl schönste Kompliment was wir hier für unsere Arbeit bekommen können.

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Wenn wir ehrlich sind geht es letztlich doch genau darum, dass wir gemeinsam mit unseren Mitwohnenden einen Zustand der Geborgenheit schaffen. Denn ohne Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit und Zuversicht, können wir selbst die besten Konzepte und Ideen nicht umsetzen. Uns ist es scheinbar gelungen mit gemeinsamer Haltung, diese Gefühle zu vermitteln. Vielleicht klappen auch darum viele andere Sachen bei uns so gut?

Max Krieger
Projektleiter NU 1

Fotos: Boshena Kaiser