Kiew-37_webvor gar nicht all zu langer Zeit …

Teil I -Aufbruch

Es ist wohl eher ein Segen als ein Fluch, wenn man wie ich in einer Schule arbeitet und somit auch an allen Ferien teilnehmen darf. Nun bin ich der letzte, der sich über diesen glücklichen Umstand beschweren würde. Jedoch kann man auch hierbei Gründe zum neurotischen Meckern finden. Zum Einen wäre da der Nachteil, dass z.B. Flugtickets bis zu 50% teurer sind als zu nicht Ferienzeiten. Von Hostels und Hotels ganz zu schweigen. So saß ich nun vor meinem Rechner und durchsuchte ein Wochenende lang das Internet nach einer Möglichkeit dem tristen Aprilwetter hierzulande zu entkommen. Leider Erfolglos! Denn 500,- € für 4 Tage Neapel erschienen mir dann doch etwas überteuert. Eingestellt auf zwei Wochen Urlaub im heimischen Kiez saß ich am Montag morgen in unserem Büro, als Sebastian – unser Projektleiter – völlig überraschend in die Runde fragte, ob nicht jemand Lust dazu hätte das Stadtteilzentrum bei einer Reise zu vertreten. Ziel sollte die Ukraine sein. Mit den eben beschriebenen Urlaubsplanungen und ohne weiter nachzudenken ging mein Arm natürlich sofort nach oben. Das Nachdenken setzte erst etwas später ein als ich die groben Details mit Sebastian besprechen konnte.

Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Ukraine nach der Maidan Revolution 2014 politisch gesehen in einer schwierigen und unübersichtlichen Lage befindet, herrscht im Osten des Landes schlicht weg und einfach mal Krieg. Die erste Station unserer Reise sollte die Hauptstadt Kiew sein und von dort aus weiter nach Charkow gehen. Charkow… in welchem Teil der Ukraine liegt denn diese ehemalige  Hauptstadt und zweitgrößte Stadt der Ukraine noch? Irrtümlich nahmen wir erst einmal an, dass Charkow im Westen der Ukraine gelegen sei. Eine genauere Betrachtung der Landkarte sollte uns eines besseren belehren und ich fand Charkow weit im Osten, ca. 60km vor der russischen Grenze. Diese Feststellung löste dann doch ein etwas mulmiges Gefühl aus, denn wenn man nähere Infos über Charkow im Internet sucht, stolpert man zwangsläufig über die Berichte aus dem letzten Jahr die man schon längst vergessen oder verdrängt hatte. Bei einem Gedenkmarsch zum Gedenken an die Maidan-Proteste vor einem Jahr gab es einen Anschlag mit zwei Toten und acht Verletzten. Der Bürgermeister wurde bei einem zweiten Anschlag zwei Monate später lebensgefährlich verletzt. Nicht gerade ein Reiseziel was man sich unbedingt aussuchen würde.

Aber wir sind ja nicht zum Urlaub machen da sondern, und versprach schon unser Reiserahmenprogramm, zum Planen und organisieren da. Mir blieben nun noch zwei Wochen um mich auf diese „Reise ins Ungewisse“ vorzubereiten. Entsprechende Literatur zur derzeitigen Lage erschien mir als Einstig und als Ergänzung zu den Informationen aus Funk und Fernsehen passend. Zum einen kann man sich zum „Testfall“ Ukraine einiges an Lesestoff besorgen welche überwiegend aus westlicher Perspektive und Haltung geschrieben wurde. Das Gespräch mit unserer langjährigen Honorarkraft Yelena, die Ukrainerin ist und eine völlig andere Sichtweise hat, hat mich dazu gebracht die Berichterstattung über den Ukrainekonflikt kritischer zu sehen. Die eindeutige Berichterstattung der hierzulande pro-ukrainischen Presse hat mich, bevor ich überhaupt von der Reise ahnte, ohnehin schon beschäftigt. Der Beruf bringt es wohl mit sich immer auch die andere Seite hören und verstehen zu wollen und sich nicht nur auf eine Seite zu verlassen.

Für das Erste hoffe ich bei meiner Leserschaft das Interesse geweckt zu haben, denn wie es weiter ging, welche Leute mir dort begegnet sind, welche Eindrücke ich dort gewinnen konnte und wie sich die Reise durch die Ukraine weiter gestaltete, möchte ich gerne im nächsten Teil meines Report beschreiben. Ich hoffe, Ihr haben Lust bekommen meinem Bericht weiter zu folgen. Und ich kann nur soviel verraten, dass es spannend wird.

Henning Gnau
Ergänzende Förderung und Betreuung an der 10. ISS

Teil 2 erscheint am 18.6.2015 an dieser Stelle.