insulaner_132 Konflikte unter Kindern bestimmen maßgeblich unseren beruflichen Alltag. Um den Umgang mit Konflikten von Kindern so konstruktiv, wie möglich zu gestalten, geht es am Anfang dieses Leitfadens zunächst um die allgemeine soziale Entwicklung von Kindern im Alter von 7-13. Vor diesem Hintergrund sind Konflikte meist besser zu verstehen. Im Weiteren wird die Rolle des Pädagogen geklärt und seine eigene Einstellung zu Konflikten, da diese die Situation beeinflusst. Daraufhin folgt ein einfaches Phasen-Konflikt-Modell. Schließlich werden Maßnahmen bei Aggressionen dargestellt. Vieles von dem, was ihr im Folgenden lest, ist natürlich nicht neu. Ich denke, dass es wichtig ist, sich bestimmter Themen immer wieder bewusst zu werden. Auch geht es nicht darum richtige oder falsche Ansichten und Lösungen vorzugeben, sondern lediglich Anstöße zu geben. Kinder sind immer schlauer als die pädagogische Ratgeberlektüre.

Die soziale Entwicklung von Kindern

Die Beschreibung der sozialen Entwicklung von Kindern habe ich dem Buch „Große Kinder, Die aufregenden Jahre zwischen 7 und 13“ von Oggi Enderlein entnommen und zusammengefasst. Dieses Buch ist sehr lesenswert und steht bei uns im Büro.

Eine der wichtigen Entwicklungsaufgaben von Kindern zwischen 7 und 13 Jahren ist es die sozialen Strukturen der Welt kennenzulernen, sie auszuprobieren und zu begreifen. In dieser Lebensphase beschäftigen sich Kinder sehr intensiv mit Fragen, was „fair“ und was „gemein“ ist. Sie lernen im gemeinsamen Miteinander die Bedeutung von Vertrauen, Verrat, Rücksichtnahme, Unterdrückung, Betrug, Hinterhältigkeit, Treue, Verlässlichkeit, Anständigkeit, Bescheidenheit, Ehre usw. kennen.

Kinder orientieren sich in ihrer moralischen Bewertung zum einem an dem, was sie selbst fühlen und zum anderen stimmen sie naiv und offen dem zu, was ein geliebter Erwachsener äußert. Kinder beobachten bei Erwachsenen sehr genau, wie diese mit anderen Menschen, Tieren und Pflanzen umgehen. Sie nehmen den Umgang, den Erwachsene mit ihren eigenen als auch den Gefühlen anderer haben, wahr und ordnen die Erwachsenen nach ihrem sozialen Verhalten ein. “Dazu kommt, dass auch die … Erwachsenen, mit denen Kinder zusammenleben, zwar wundervolle moralische und soziale Regeln predigen, aber je genauer Kinder die Erwachsenen beobachten, umso deutlicher wird ihnen, dass es mit anständigem und fairem Verhalten bei denen auch nicht so weit her ist. Viele Kinder erleben ständig von den eigenen Eltern oder Lehrern, dass Demütigungen, Misshandlungen, auch Schläge scheinbar etwas >ganz Normales< sind.“ Indem Kinder Grenzen überschreiten und /oder andere Kinder drangsalieren, testen sie unweigerlich aus, welche Regeln denn nun wirklich gelten. Sie wollen herausfinden, was zu weit geht und was noch hinnehmbar ist. Erwachsene zeigen oft Unverständnis, wenn Kinder sich auf diese Weise verhalten, erheben Vorwürfe und gehen davon aus, dass Kinder doch wissen müssen, was Recht und was Unrecht ist. Doch das Fehlverhalten besteht in der einfachen Frage: Geht das zu weit? So rät Enderlein ruhig zu reagieren und klar und deutlich, aber liebevoll zu signalisieren: So geht es nicht!

Um die sozialen Regeln herauszufinden sind vor allem auch gleichwertige Partner ein guter Maßstab. „Die sozialen Erfahrungen, die Kinder in Gruppen (ohne Erwachsene!) sammeln, sind außerordentlich wichtig: Zum einen spielen die Kinder nach, was sie in der Erwachsenenwelt beobachten. Damit probieren sie aus, wie sich die Umgangsformen der Erwachsenen anfühlen und welche Konsequenzen sie haben. Im positiven wie im negativen Sinn: Unterdrückung oder gleichberechtigte Partnerschaft, Diskriminierung oder Annahme, Demütigung oder gegenseitige Achtung, Lösung von Konflikten durch Verhandlung oder durch Gewalt. Zum anderen geben sich Kinder in ihren Gruppen eigene soziale Gesetze.“

Sie erfahren und erleben im Zusammensein, welche Umgangsformen gut tun und welche schmerzen. So lernen sie im gemeinsamen Spiel ganz automatisch, dass es Situationen gibt, die man nur gemeinsam bewältigen kann (z.B. wenn sich die Kinder gegenseitig helfen auf einen hohen Ast raufzukommen).

Sie loten aber auch aus, wo die Grenze der Verletzlichkeit liegt (bei sich und bei anderen). Wenn Kinder beispielsweise „kämpfen“, lernen sie zwischen Ernst und Spiel zu unterscheiden. Die Worte von Erwachsenen, Lehr- oder Spielfilme sind für Kinder abstrakt und unpersönlich und vermitteln ihnen nicht fühlbar, wo die Grenze des Anderen ist. „Wann der Punkt erreicht ist, wo man einem anderen wehtut, kann man nur in direktem Kontakt mit ihm spüren lernen. Und nur so können sie letztlich Taktgefühl und Einfühlungsvermögen bilden.“ Da Kinder soziales Miteinander und Gewalt oft auch in Medien sehen, fehlt ihnen z.T. das Erleben. Die Folge ist, dass Kinder nicht realitätsgetreu einschätzen können, wie weh ein Tritt tut, wie schnell eine Lippe blutig geschlagen ist oder dass ein ungezügelter Faustschlag oder Fußtritt sehr gefährlich werden kann. Setzt ein Kind dann beispielsweise Faustschläge, Tritte o.ä. unvermittelt ein, erschrecken Erwachsene oft über das Ausmaß an Gewalt, so dass sie Auseinandersetzungen in Form von Balgereien strikt untersagen um Schlimmeres zu verhindern. „Stattdessen wäre es für die Jungen besser, wenn sie sich tatsächlich aufeinander einlassen könnten und zu ihrer Sicherheit von den Erwachsenen klare Regeln der Fairness für den „Kampf“ bekämen.“

Des Weiteren neigen Erwachsene dazu, vornehmlich aggressive Verhaltensweisen von Kindern zu sehen und halten faires, kameradschaftliches, einfühlsames, bescheidenes und rücksichtsvolles Verhalten für selbstverständlich. Sich sozial zu verhalten ist jedoch für Kinder keineswegs immer einfach: da sie einerseits ihr eigenes Verhalten aus der eigenen Perspektive (entwicklungspsychologisch, altersbedingt) sehen und daher nicht wirklich fähig sind, es realitätsgetreu zu bewerten und zu beurteilen. Andererseits hängt soziales Verhalten häufig mit der Unterdrückung der eigenen Interessen zusammen, so dass es aus der Sicht des Kindes immer mehr Gründe gibt sich dagegen zu entscheiden.

Viele weitere Aspekte sind grundlegend um mit Konflikten von Kindern als Pädagoge umzugehen. Es würde jedoch den Rahmen des Leitfadens sprengen diese hier alle aufzuführen. Im Folgenden geht es um die Rolle des Pädagogen in Konflikten.

Konflikte zwischen Kindern und die Rolle des Pädagogen

Wenn Kinder sich streiten, müssen und sollten sich Pädagogen nicht sofort einmischen, sonst haben die Kinder keine Chance zu lernen mit Konflikten umzugehen. Letztlich entscheidet jeder Pädagoge für sich, wann er einschreitet. Richtlinien können sein:

> wenn die Verletzungsgefahr zu groß wird

> ein Kind bereits weint oder sehr verzweifelt erscheint

> die Aggression gegen Schwächere gerichtet ist

> ein Austesten der Grenzen angesagt ist, sodass den Kindern unmissverständlich klargemacht wird, dass sie an der Grenze angelangt sind

>die Kinder den Konflikt nicht aushandeln können

Konfliktlösung aus systemischer Sicht

Schreitet der Pädagoge nun aus einem der erwähnten Gründe ein, sollte er sich über die eigene Einstellung zu Konflikten im Klaren zu sein: Wie gehe ich in meinem täglichen Leben mit Konflikten um? Empfinde ich sie als etwas Störendes, gar zu Vermeidendes?

Aus systemischer Sicht haben Konflikte eine bedeutende Funktion!

Konflikte:

> stoßen Entwicklungsprozesse an;

> führen zu sozialen Beziehungen; da, wo Konflikte vermieden werden, lösen sich über kurz oder lang soziale Beziehungen auf;

> implizieren Verbesserungsvorschläge;

> regen an eigene und andere Gefühle, Gedanken, Interessen, Bedürfnisse etc. wahrzunehmen;

> führen zur Selbsterkenntnis und zur Kenntnis des Anderen.

Phasen der Konfliktlösung mit Kindern:

Kinder lernen erst mit Konflikten umzugehen. Pädagogen haben die Funktion Kinder bei dieser Aufgabe zu unterstützen, aber nicht den Konflikt für die Kinder zu lösen. Sie sind lediglich Mediatoren. Folgende Phasen können bis zur Lösung durchschritten werden:

1) Einleitung

– Regeln klären (beispielsweise: „Nicht schlagen, beißen, kratzen usw.) àwertschätzender Umgang

– Ziel verdeutlichen: eine Klärung und Lösung des Problems wird angestrebt

2) Sichtweise der beiden Konfliktpartner

– beide Konfliktpartner haben die Möglichkeit gehört zu werden und ihren Standpunkt darzustellen

– der Pädagoge spiegelt die Kinder (Gefühle, Gedanken, Empfindungen usw.), bringt aber nicht seine eigene Sichtweise in den Konflikt hinein; er fasst das Gesagte lediglich zusammen

3) Konflikterhellung

– nachfragen, klären

– der Pädagoge benennt konkret und ohne Wertung das Problem bzw. das vom Kind wahrgenommene „störende“ Verhalten usw.

– er benennt die Gefühle und die zugrundeliegenden Bedürfnisse

4) Problemlösung

– die Kinder werden angeregt nach Lösungen zu suchen; auch hier kommt der Lösungsvorschlag nicht vom Pädagogen, sondern von den Kindern selbst (auch wenn die Lösung uns nicht gefällt; die Kinder werden in ihrem Selbstwert nur gefördert, wenn sie selbstständig die Konflikte lösen)

– schließlich werden die Lösungsvorschläge diskutiert, bewertet (von den Kindern!) und nach einem Konsens gesucht

5) Vereinbarung

– die gemeinsame Vereinbarung genau formulieren à nachfragen, ob beide Seiten einverstanden sind (gegebenfalls unterschreiben lassen)

Systemische Haltung:

Da meine Fortbildung „Möglichkeiten der Konfliktlösung in brenzligen Erziehungssituationen“ aus dem Bereich der systemischen Beratung stammte und ich die dafür erforderliche innere Haltung für eine Konfliktlösung als hilfreich empfinde, stehen im Folgenden die wichtigsten Aspekte:

> Neutralität: das bedeutet, dass der Pädagoge sich nicht für eine Seite entscheidet, sondern die verschiedenen Ansichten beleuchtet. Er zeigt beiden Konfliktparteien gegenüber die gleiche Wertschätzung. Er bevorzugt nicht eine Werthaltung, Meinung, Problemklärung oder Lösungsidee.

> Vergrößerung des Möglichkeitsraums: der Pädagoge hilft den Kindern ihre Denk- und Handlungsspielräume zu erweitern. So schränken beispielsweise Tabus, Dogmen, Denkverbote und Richtig-/Falsch-Bewertungen die Möglichkeiten eher ein und sind demnach dem systemischen Ansatz entgegengesetzt. Der Pädagoge regt die Kinder an Ideen zu entwickeln, mit neuen Erfahrungen zu experimentieren, das bislang Ungedachte zu denken und das bisher nicht Ausprobierte zu probieren. Die bisher konstruierte Wirklichkeit und die hiermit verknüpften Handlungen werden auf diese Weise in Frage gestellt und so die Möglichkeit geschaffen, eine neue Wirklichkeit zu entwickeln.

> Ressourcen-/Lösungsorientierung: der systemische Ansatz geht davon aus, dass jedes System bereits alle Ressourcen beinhaltet, die zur Lösung eines Problems erforderlich sind. Diese werden jedoch von den Systemmitgliedern bisher nicht bzw. nicht ausreichend genutzt. Es geht nicht darum das Problem näher zu untersuchen und die ganze Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Die Folge wäre eine Einengung Perspektive. Der Fokus wird auf die Entwicklung von Lösungen gelenkt und die vorhandenen Ressourcen betont. Welche Entstehungsbedingungen sind notwendig für das Gelingen.

> Kundenorientierung: Eine systemische Konfliktlösung ist nicht dann erfolgreich, wenn sich eine Lösung ergibt, welche nach Meinung des Pädagogen die beste ist, sondern, wenn die Kinder das Ziel erreichen, welches sie sich selbst gesetzt haben.

Maßnahmen bei aggressivem Verhalten:

> Gefühle zulassen: Wut ist kein Problem, sondern ein Gefühl! Es ist notwendig zwischen Wut und Aggressionen zu unterscheiden. Wenn ein Kind wütend ist, ist das der Ausdruck seines Gefühls, das nun einmal vorhanden ist. Es geht also darum das Gefühl zuzulassen und darauf einzugehen. Das Kind soll nicht lernen, seine Gefühle zu unterdrücken, sondern sie auf angemessene Weise auszudrücken. Das Kind muss seine Wut dann nicht mehr im aggressiven Verhalten zeigen. Erst Wut, die hilflos ist, schlägt in Aggressionen um.

> Gefühl ansprechen: das Gefühl ansprechen, z.B.: „Es ist sehr ärgerlich, was dir gerade passiert ist. Lass uns überlegen, was wir tun können, damit es du dich nicht mehr ärgerst.“ Es geht aber nicht darum sich auf die Wut zu konzentrieren und zu überlegen, was man gegen die Wut tun kann, sondern danach zu suchen, was nötig ist, damit das Kind mit sich und der Welt wieder im Frieden ist.

> Bedürfnis erkennen: herausfinden welches Bedürfnis hinter der Wut steckt, dann wird es nicht so leicht zu aggressiven Verhalten kommen. Aggression tritt beispielsweise oft dann in Erscheinung, wenn das Selbstwertgefühl beschädigt wird. Hier geht es darum das Bedürfnis nach Wertschätzung zu erkennen und wenn möglich zu erfüllen.

> nicht verstärken: aggressiven Wutanfällen keine unangemessene, also deutlich über das Übliche hinausgehende, Aufmerksamkeit schenken. So etwas wirkt als „Verstärker“ und das Kind lernt dadurch, dass aggressives Verhalten Vorteile bringt. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Pädagoge bei Aggressionen zwischen Kindern wegschaut!

Wenn jedoch das aggressive Verhalten abklingt, ist es gut das zu verstärken: z.B. indem der Pädagoge seinem Gefühl der Freude darüber Ausdruck verleiht, Hilfe bei der Lösungssuche bietet usw.

> Aufmerksamkeit wecken: z.B. leise sprechen. Auch wenn es im ersten Moment schwer fällt (und wahrscheinlich nicht immer funktioniert), doch damit wird die Aufmerksamkeit des Kindes geweckt, denn es will hören, was der Pädagoge sagt: Kinder sind neugierig!

> Keine Strafen: Strafen, auch und gerade emotionale Strafen, sind kontraproduktiv. Zum einen, weil sich das Kind noch hilfloser fühlt (hier werden Aggressionen verstärkt) und so einen noch klareren Grund für sein Verhalten findet, zum anderen können Strafen unter gewissen Umständen eine Belohnung bedeuten („lieber negative Zuwendung als gar keine“).

Wenn das Kind sich in einem extremen Wutanfall befindet, d.h. es schlägt um sich, dann laut „Stopp“ rufen (Schreckreflex) und das Kind evtl. festgehalten. Aber nur soviel Kraft aufwenden, wie nötig. Eher an den Schultern, als an den Oberarmen. Normalerweise beruhigt der Körperkontakt. Die Hand auf dem Hinterkopf löst einen Beruhigungreflex aus.

> Zuhören: ohne gleich zu kommentieren (auch nicht innerlich); immer nur einer spricht – und zwar bis er fertig ist mit seinem Satz. Das gilt auch für den Pädagogen!

> ernst nehmen: Kinder werden verständlicherweise leicht wütend, wenn man sie nicht ernst nimmt oder nicht wirklich auf sie eingeht. Wenn man dann auch die Wut nicht als Gefühl anerkennt, resultiert das schnell in Aggressionen.

> Humor: wenn das Kind einen Wutanfall bekommt, kann man es z.B. mit paradoxen Verhalten („Reframing“) unterbrechen. „Sehen sie das Kind mit großen Augen an, ziehen Sie ein komisches Gesicht und sagen etwas wie: ´Hey, Zahnlücken-Joe: Bleib cool!´ Wenn Sie diesen Unterbrecher gesetzt haben, sollten Sie aber unbedingt dem Bedürfnis, das sich in dem Wutanfall ausgedrückt hat, nachgehen!“

> körperlichen Ausdruck zulassen: beispielsweise dem Kind anbieten auf einen Sandsack, ein Kissen, eine Matratze o.ä. zu schlagen. Aggressionen können hier spielerisch ausgelebt werden.

Abschließend

Das hier Dargestellte bezieht sich auf Konflikte von Kindern, die eine gesunde und psychologisch altersentsprechende Entwicklung vollziehen. Bei andauernden, sich ständig wiederholenden Konflikten und Aggressionen von Kindern sind weitere Maßnahmen erforderlich. Hier geht darum mit Eltern und Lehrern ins Gespräch zu kommen um mit ihnen gemeinsam herauszufinden, welche Bedürfnisse des Kindes nicht erfüllt sind und Lösungen hierfür zu finden.

Stefanie Behrend
Ergänzende Förderung und Betreuung an der Grundschule am Insulaner