– die Diskussion um die Kinderrechte im Grundgesetz
Kinder haben schützenswerte Rechte und benötigen Fürsorge für ein gelingendes Aufwachsen!
Um dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit gerecht zu werden, beschlossen die Vereinten Nationen am 20. November 1989 die Kinderrechtskonvention, die seit 1992 als völkerrechtlicher Vertrag auch in Deutschland gilt. Die Kinderrechte garantieren u. a. Maßnahmen zum Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung und beinhalten das Recht auf Bildung und das Recht auf Freizeit. Am Anfang der Konvention heißt es in Artikel 3, Absatz 1:
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleich viel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Warum braucht es eigentlich die Kinderrechte?
Wir erleben in unserer Arbeit in den Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. immer wieder, dass die Rechte von Kindern umkämpft sind. In Gesprächen mit Familien in schwierigen Lebenssituationen pochen wir darauf, dass Eltern die Rechte ihrer Kinder kennen und verwirklichen. Wo wir Kinderrechte in einzelnen Familien nicht umgesetzt sehen, ist es unser Auftrag einzuschreiten und angemessene Unterstützung zu leisten oder zu vermitteln. In den Einrichtungen und Projekten, in denen wir mit jungen Menschen arbeiten, schaffen wir Bildungs- und Freizeitangebote, die an den spezifischen Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet sind und die damit dazu beitragen, dass es Kindern gut geht und sie eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln können.
Aber auch beim Handeln von Behörden und Institutionen sind die Rechte von Kindern immer wieder umkämpft. Wir begleiten beispielsweise seit einigen Jahren die Vorbereitungen für den Neubau des zukünftigen Stadtteils „Neulichterfelde“. Bei einem solchen Neubauvorhaben werden an vielen Stellen die Rechte von Kindern berührt und diskutiert: Wie viele Spielplätze werden gebaut? Werden die Straßen eher so angelegt, dass Autos möglichst schnell von einem Platz zum anderen kommen, oder eher so, dass sich Kinder möglichst frei und sicher bewegen können? Wie kann eine neue Schule schon von vornherein so angelegt werden, dass sie den Auftrag der Bildung und der Erziehung bestmöglich umsetzen kann?
Zum Glück gibt es heute beispielsweise so hilfreiche Einrichtungen wie die bezirklichen Kinder- und Jugendbüros, die junge Menschen zu ihren Wünschen und Interessen befragen. Und gleichzeitig bleibt die Frage, inwiefern diese Meinungen dann auch tatsächlich berücksichtigt werden oder ob sie hinter den Vorstellungen von Erwachsenen zurücktreten müssen.
Kinderrechte im Grundgesetz
Seit Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention wird deshalb auch diskutiert, die Kinderrechte explizit in die deutsche Gesetzgebung aufzunehmen, damit sie hierdurch vollumfänglicher umgesetzt werden und auch das Einklagen der Rechte, wo sie verletzt werden, einfacher wird.
Am 11. Januar dieses Jahres wurde zunächst tatsächlich die Einigung von Union und SPD auf die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz verkündet, mit der ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden sollte. Geplant war demzufolge eine Änderung des Artikels 6 (Ergänzung durch Absatz 2):
„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Am 07. Juni allerdings musste die Justizministerin verkünden, dass nun leider doch keine Einigung erzielt werden konnte und die Aufnahme der Kinderrechte in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr umzusetzen ist. Die Enttäuschung darüber ist bei Kindern und Jugendlichen wie auch in den Einrichtungen, die mit jungen Menschen arbeiten, selbstverständlich groß. Dass auch die aktuelle Regierung vor dem Hintergrund der Entbehrungen, von denen gerade Kinder und Jugendliche im letzten Jahr betroffen waren und die sie lange prägen werden, es wieder nicht geschafft hat hier zu einer Einigung zu kommen, ist erschreckend!
Es bleibt zu hoffen – und ist dennoch nicht abzusehen –, dass das Vorhaben möglichst bald wieder neu angegangen wird. Und dann bleibt auch zu hoffen, dass über die konkrete Umsetzung noch einmal neu diskutiert wird. Denn: Auch die geplante Grundgesetzänderung wäre ein schwer erkämpfter Kompromiss gewesen und bliebe deutlich hinter der Formulierung der UN-Kinderrechtskonvention zurück. Denn während das Wohl des Kindes gemäß der Konvention vorrangig zu berücksichtigen ist, hätte es im Sinne der geplanten Grundgesetzänderung „nur“ angemessen einbezogen werden sollen.
Vorrangig oder angemessen?
Warum aber sollten Kinderrechte vorrangig berücksichtigt werden? Natürlich – die unterschiedlichen Ansprüche von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen müssen immer in ein Gleichgewicht gebracht werden. Selbstverständlich kann die Welt nicht nur nach den Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen gestaltet werden (auch, wenn das frei nach Herbert Grönemeyer – „Gebt den Kindern das Kommando“ – mal ein spannendes Experiment wäre). Es leben ja schließlich auch Erwachsene, alte Menschen, große Menschen, kleine
Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Hundebesitzer*innen, Sportwagenfahrer*innen und viele andere Gruppen in dieser Welt.
Aber: Insbesondere Kinder und Jugendliche sind beim Einfordern ihrer Rechte benachteiligt! Denn erwachsene Menschen haben viel mehr als Kinder zumindest ein grundsätzliches Verständnis unseres Rechtssystems und auch eine Vorstellung davon, wie sie sich dieses zunutze machen können, um ihre Rechte gegenüber anderen Anspruchsgruppen zu verteidigen und durchzusetzen. Dies kann bei Kindern und Jugendlichen nicht vorausgesetzt werden.
Zwar wird die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden (politischen) Prozessen seit Jahren vorangetrieben, aber sie ist dennoch längst nicht da angekommen, wo sie sein sollte. Das 2019 in Kraft getretene Berliner Jugendförder- und Beteiligungsgesetz definiert die „Unterstützung der Beteiligung junger Menschen“ als eine von fünf Angebotsformen der Jugendarbeit. Aber wir erleben in der Praxis von Beteiligungsprozessen allzu oft, dass schlussendlich eben doch nur in geringem Maß wirklich mit Kindern und Jugendlichen und vielfach eher über sie gesprochen wird. Wirkliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist schwer und aufwändig – keine Frage. Aber es braucht sie, um die Grundrechte von Kindern wirklich zu wahren! Ich hätte mir daher gewünscht und wünsche mir weiter, dass auch das Grundgesetz die Vorrangigkeit der Interessen Kinder und Jugendlicher festlegt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht mir nicht darum, verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern es geht darum, Kinder und Jugendliche als eine besonders vulnerable Gruppe stärker in den Fokus zu nehmen! Mit unseren Angeboten im Stadtteilzentrum Steglitz e.V. werden wir uns jedenfalls weiter dafür einsetzen, dass die Interessen und Meinungen von Kindern und Jugendlichen gehört werden und ein starkes Gewicht bekommen! So leisten wir unseren Beitrag zur Verwirklichung der Kinderrechte.
Jonas Haupt
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kinderrechte-grundgesetz-107.html?fbclid=IwAR1dtgGNat64YBYb3LLh6lswuKK36rpNKhDlPr3qlXuu3SKu8fPoGAD3QiU
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kinderrechte-grundgesetz-113.html
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kinderrechte-ins-grundgesetz-1840968
https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/kinderrechte-ins-grundgesetz/
https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention
https://www.berlin.de/sen/jugend/jugend/jugendarbeit/jugendfoerder-und-beteiligungsgesetz.pdf
Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 2.2021 mit dem Leitthema „Kinderrechte“
Das ganze Magazin können Sie als eBook oder interaktives Pdf herunterladen, die gedruckte Version finden Sie in unseren Einrichtungen.
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