„Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.“

Dies ist der Grundgedanke der Pädagogik nach Maria Montessori. Auch wenn wir in unserer Einrichtung, der Kita „Lichterfelder Strolche“, in erster Linie nicht nach der Montessori-Pädagogik arbeiten, spielt diese Aussage doch eine große Rolle in unserer Arbeit. Im Hinblick auf die Zukunft unserer Kinder sollte dieser Satz zum Grundsatz in allen Kindertageseinrichtungen und -betreuungen werden oder es bereits sein.

Anders als jetzt wahrscheinlich vermutet wird, spielt die Förderung der Selbstständigkeit aber nicht nur in der Bildung und Erziehung unserer Kinder eine Rolle. Sowohl die Pädagog*innen unserer Einrichtung als auch die Eltern und Erziehungsberechtigten der Kinder müssen sich immer wieder neu in Selbstständigkeit üben.

Doch nehmen wir zu allererst einmal die Entwicklung der Selbstständigkeit unserer Kinder unter die Lupe. Es ist essenziell für die Zukunft unserer Kinder, dass sie schon von klein auf lernen, selbstständig zu sein. Wie sollen Kinder die Erfahrungen sammeln, die sie benötigen, um groß und selbstständig zu werden, wenn Eltern/Erziehungsberechtigte und Pädagog*innen permanent um sie kreisen und ihnen Regeln, Einschränkungen und Verbote predigen? Wenn sie immer wieder Konflikte mit anderen Kindern für sie klären oder sie nach einem Meter klettern schon vom nächsten Baum herunterpflücken? Die oft nur gut gemeinte Fürsorge der Eltern/Erziehungsberechtigten und der daraus häufig folgende Rechtfertigungsdruck, der auf Pädagog*innen lastet, führt dazu, dass Kinder kein Bewusstsein für das Risiko und/oder ein angemessenes Maß an Selbstständigkeit lernen können.

Wie bereits erwähnt, beginnt dieser Lernprozess schon bei den ganz Kleinen, in unserer Einrichtung sind das die Einjährigen. Unsere Jüngsten stehen vor riesengroßen Herausforderungen, die sie in der Kita jeden Tag bewältigen müssen. Da wäre das Laufen lernen, um selbstständig von A nach B zu kommen, oder das Bewältigen eines ganzen Kitatages, ohne dass Mama oder Papa dabei sind. Oder das Erkunden und Kennenlernen der Dinge, die man mag oder eben nicht. Egal ob das Kind ein oder fünf Jahre alt ist, klar ist, dass sie bei solchen Erfahrungen immer jemanden an ihrer Seite brauchen, der sie an die Dinge empathisch und sensibel heranführt. Kein Kind kann das allein schaffen.

Auch im Erwachsenenalter hat man, was die Selbstständigkeit betrifft, noch lang nicht ausgelernt und auch wir Pädagog*innen sind in unserem Arbeitsalltag permanent mit diesem Thema konfrontiert. Ob in der Gruppenarbeit, in der Zusammenarbeit mit dem Team oder in der Elternarbeit: Wir kommen immer wieder an Punkte in unserer Arbeit, an denen von jedem Einzelnen ein gewisses Maß an Selbstständigkeit gefordert ist. Je nach Situation werden diese Situationen mal mehr und mal weniger selbstständig gelöst.

Das Stadtteilzentrum Steglitz hat passend zu diesem Thema vor knapp 1 1/2 Jahren den Prozess „Reinventing Kitas“ gestartet. Basierend auf dem Buch von Frederic Laloux „Reinventing Organizasions – Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen zur Zusammenarbeit“ geht es darum, die alte hierarchische Struktur eines Unternehmens unter dem Aspekt der Agilität zu hinterfragen und zu überlegen, welche Organisationsstruktur notwendig ist, um die komplexen Probleme unserer heutigen Zeit schnell und flexibel sinnvoll zu lösen und welche Kompetenzen und Fähigkeiten in einem Team notwendig sind, damit die Mitarbeitenden ihre Entscheidungen selbstständig treffen und somit selbstorganisiert arbeiten können.

An dieser Stelle sind wir Pädagog*innen gefragt. Es ist nun an uns zu erforschen, wer welche Kompetenzen und Stärken hat und auf welche Art und Weise diese in einen selbstorganisierten Arbeitsalltag integriert werden können. Es ist ein sehr langer Prozess und es gibt auch Zeiten, in denen er still zu stehen scheint, aber ich denke, durchzuhalten lohnt sich.

Durchhalten ist auch in der aktuellen Situation, in der Covid19 unseren Alltag bestimmt, die Lösung. Die letzten Monate haben uns in unserem pädagogischen Alltag vor viele Herausforderungen gestellt und uns einiges abverlangt. Aber lassen wir die negativen Aspekte mal beiseite und konzentrieren uns auf die positiven Veränderungen. Wie wahrscheinlich in vielen anderen Unternehmen sei da das Voranschreiten der Digitalisierung hervorgehoben. Ich glaube, dass Kindertageseinrichtungen grundsätzlich mit Digitalisierung nicht viel am Hut haben. Wozu auch? Medien wie Fernsehen oder Internet spielen in unserer Arbeit nun wirklich so gar keine Rolle. Ist das so? Das mag auf die direkte pädagogische Arbeit mit den Kindern zutreffen, aber wie uns Covid19 dieses Jahr gezeigt hat, gibt es noch so viel mehr Bereiche, in denen uns die Digitalisierung die Arbeit erleichtern könnte.

Nachdem wir uns durch digitale Sitzungen, Fortbildungen und schließlich auch Teamsitzungen über Zoom mit dem Medium vertraut gemacht hatten, wagten wir uns an den Versuch, einen ersten digitalen Elternabend zu veranstalten. Wir waren sehr nervös, ob dieses Angebot von unseren Eltern angenommen wird und waren am Ende des Versuches mehr als positiv überrascht. Nicht nur die Beteiligung ist massiv nach oben gegangen, auch die Effektivität war erstaunlich. Wir haben in kürzester Zeit alle wichtigen Themen klären können. Von den Eltern kamen nur positive Rückmeldungen. Nicht nur, dass sie sich um die Kinderbetreuung während des Elternabends keine Gedanken machen mussten. Sie konnten von dem Ort aus teilnehmen, an dem sie in dem Moment waren. So waren uns zwei Mütter zugeschaltet, die gerade noch mit ihren Kindern auf dem Spielplatz waren oder eine Mutter, die gerade noch im Auto neben ihrem Mann saß, der sie eben erst von einer anderen Sitzung abgeholt hat. All das hat uns positiv bestärkt, unsere zukünftigen Elternabende in eben dieser Form stattfinden zu lassen.

Covid19 hat auch viele Familien auf den Prüfstand gestellt. Viele mussten sich neu aufstellen und organisieren, um Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen oder sich Aktionen überlegen, um das Fehlen der Kita oder des besten Freundes zu kompensieren. Hut ab dafür, wie großartig viele Familien das hinbekommen haben. Wir freuen uns aber auch, dass viele Familien unsere kleinen Videos, Basteltipps oder Briefe dankend angenommen haben.

Es gibt in unser aller Alltag immer wieder Situationen, in denen uns ein großes Maß an Selbstständigkeit abverlangt wird und das ist auch gut so, denn nur so können nicht nur die Kinder, sondern auch wir Erwachsene immer noch an Dingen wachsen. Und vielleicht können wir uns gegenseitig das Leben erleichtern, indem wir wieder bewusster andere in ihrem Tun bestärken. Dabei müssen wir Geduld beweisen, unserem Gegenüber Zeit geben und wahrscheinlich wird er*sie auch Fehler machen, aber das ist ok, denn daraus lernen und wachsen wir.

Annemarie Markus