Die Kindergartenbewegung

 

Ab 1.8.2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung eines Kindes in einer Tageseinrichtung oder Kinderpflege, soweit das Kind das erste Lebensjahr vollendet hat. Dieser Ansatz basiert auf einer langjährigen gesellschaftlichen Aufgabe, deren Anfänge ins 19. Jahrhundert zurückgehen, seitdem sowohl das Kind als eigenständiges Wesen gesehen als auch die Betreuung und Bildung durch ErzieherInnen mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde.

Die Kindererziehung und -bildung wird zur öffentlichen Aufgabe.

Während im 19. Jahrhundert das Bildungsbewusstsein der Adligen und Bürgerlichen zunahm, betätigten sich gebildete Frauen in der häuslichen Erziehung und Unterrichtung als Hauslehrerinnen mit Herzensbildung.

Im Zuge der Industrialisierung trugen in den sozialen Unterschichten die Mütter durch Erwerbsarbeit zu dem bescheidenen Haushaltseinkommen

bei. Soweit kein Fabrikskindergarten zur Verfügung stand, kamen die Kinder in sogenannte Kleinkinderbewahranstalten oder Kleinkinderschulen, wo Wartefrauen, Wärterinnen, Bewahrerinnen oder Kindermägde als Kinderbetreuer die Kleinkindererziehung übernahmen, vorrangig um die Kinder vor Unfällen und Kriminalität zu schützen.

Mit dem Wandel von der reinen Verwahrung zur Vorbereitung auf die Schule und einer persönlichen Entwicklungsförderung entstand die Notwendigkeit einer professionellen Kleinkinderbetreuung durch pädagogisch geschultes Fachpersonal, den Kindergärtnerinnen, in der Institution Kindergarten.

Die Gründung von Kindergärten.

Für die Erfindung des Kindergartens waren die pädagogischen Ansichten Friedrich Fröbels und Johann Heinrich Pestalozzi bzw. deren Menschenbild vom Kind als wesentliches Glied der Menschheit tragend. Die frühkindliche Entwicklung sahen sie als gesellschaftliche Aufgabe in Ergänzung und zur Stärkung der Familie an. Fröbel stellte nicht nur Forderungen auf sondern sorgte auch für eine praktische Umsetzung seiner Ideen. 1840 gründete er in Bad Blankenburg/Thüringen den ersten Kindergarten, einer Einrichtung mit wirklichem Garten, mit Hüpf- und Fingerspielen, gesund macht, was bewegt und wer sich bewegt.

Eine professionelle Kindergartenausbildung entsteht.

Die Ausbildung erzieherischen Personals ging mit dem Kinderbetreuungsangebot einher. Theodor Fliedner errichtete 1836 das 1. Seminar für Kleinkinderbetreuung, 1849 eröffnete Fröbel in Bad Liebenstein seine erste Ausbildungsstätte „Anstalt für allseitige Lebenseinigung durch entwickelnd-erziehende Menschenbildung“ (Gary, G.: Geschichte der Kindergärtnerin von 1779-1918). Das entscheidende Öffentlichkeitsrorgan der deutschen Fröbelbewegung war ab 1860 die Zeitschrift „Kindergarten“, eine Fachzeitschrift für Kleinkinderpädagogik.

Mit sozialer und erzieherischer Arbeit wurde auf das durch die industrielle Revolution (im 19. Jahrhundert) entstandene gesellschaftliche Ungleichgewicht reagiert. Die anfängliche Kindergartenausbildung dauerte ein Jahr. Sie umfasste Unterrichtsfächer wie Pädagogik, Menschenkunde, Religion, Geschichte, Fremdsprachen, Zeichnen und Singen. Begleitet von der durch Fröbel initiierten Ausbildung qualifizierten Fachpersonals nahm die Anzahl der Kindergärten in Deutschland zu. Dieses Phänomen bedurfte nach damaliger Sicht einer staatlichen Regelung und wurde mit der schulischen Ausbildungserneuerung von Mädchen verknüpft. Die Neuregelung sah nunmehr eine einjährige Teilnahme an einer allgemeinen Frauenschule vor. Kirchliche Ausbildungsstätten glichen den staatlichen Ausbildungen.

Politische und gesellschaftliche Strömungen begleiten die Kindergartenbewegung.

Die Reformpädagogik und die Frauenbewegung der 20er Jahre beeinflussten den Bildungsauftrag und die Entwicklung gleichermaßen. Ab 1928 wurden Kindergärtnerinnen gemeinsam mit Hortnerinnen durch eine zweijährige Ausbildung auf ihren Beruf vorbereitet. Neben Fröbel wurden auch weitere Ideen wie die der Reformpädagogen, z.B. Montessori, in die Ausbildung eingebunden.

Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden die guten Ansätze durch braunes Gedankengut verfärbt und Sprüche, wie diese, verformt: Der kleine Junge wird einmal der deutsche Soldat, das kleine Mädchen eine deutsche Mutter (in Denzing 1941 S. 61).

Ab 1945 knüpfte man im Wesentlichen an die Pädagogen der Weimarer Republik an. Der Kindergarten blieb über Jahrzehnte Teil der Sozialpolitik.

Der Kindergarten als Bildungseinrichtung

Ab 1970 entstanden in den Bundesländern die ersten Kindergartengesetze. Der Kindergarten wurde Teil des Bildungswesens mit dem Anspruch auf frühzeitige Förderung und einem Bildungsausgleich zugunsten sozial benachteiligter Kinder, Defizite anzugehen und sie gezielt auf die Aufnahme in der Schule vorzubereiten. Aufgrund der Rahmengesetze der Kultusministerkonferenz von 1967 wurde die Ausbildung zu Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, Jugend- und Heimerziehern zur gemeinsamen Ausbildung „staatlich anerkannter Erzieher“ an Fachhochschulen für Sozialpädagogik zusammengefasst. In Berlin ist dies z.B. an der fast 140 jährigen Traditionseinrichtung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses möglich, deren Träger heute eine Stiftung öffentlichen Rechts ist.

Der erste private Kindergarten in den USA hatte sein Vorbild in Deutschland. Er wurde 1856 in Watertown (Wisconsin) von der Fröbel-Schülerin Margarete Schurz gegründet. Er war deutschsprachig. In Folgeeinrichtungen wurde Englisch gesprochen. Kindergärten wurden Teil des Schulsystems und sind heute fest den Grundschulen angegliedert.

Die Kinderladenbewegung.

Anlässlich der Protestbewegung der 68iger-Generation rückten auch die Fragen der Erziehung in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Debatten um Autoritäten und Antiautoritäten führten zu pädagogischen Privatinitiativen, die bereits den Kindern Rüstzeug zur Kritikfähigkeit durch Erziehung und Bildung im vorschulischen Bereich geben sollten.

Die antiautoritäre Erziehungsbewegung war stark verknüpft mit der Kinderladenbewegung. Ein Kinderladen wurde meist in Eigeninitiative von interessierten Eltern gegründet. Die freien Trägervereine betreuten Kinder im Vorschulalter, die meist in Läden etabliert waren. Der Personalschlüssel war weitaus günstiger, um dem pädagogischen Auftrag gerecht zu werden. Obwohl privat betreut hatte das Jugendamt die Aufsicht.

Eigeninitiativen zur Kinderbetreuung.

Nachdem sich die wilden Zeiten der Kinderladenbewegung gelegt hatten, starteten Eltern gemäßigte Eigeninitiativen zur Betreuung ihrer Kinder. Kommunen oder örtliche Kirchen, Träger freier Wohlfahrtsverbände boten und bieten die Kindertagsbetreuung. Träger für drei Kindertagesstätten im Bezirk Steglitz (Hindenburgdamm 28, Scheelestr. 145 und seit August 2013, Malteserstr. 120) ist der gemeinnützige Verein Stadtteilzentrum Steglitz e.V. Anlässlich eines Hospitationstermins können sich Eltern und Kinder gemeinsam vorab über das gebotene Betreuungsangebot informieren.

Ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt besteht ein Rechtsanspruch auf einen wohnungsnahen halbtägigen Platz nach dem KitaFördG 2005. Erwerbstätige und arbeitsuchende Eltern werden bei der Zuteilung eines Kindergartenplatzes bevorzugt. Sogenannte Mini-Clubs für kleine Kindergruppen bieten Kirchen, Gemeinden oder gemeinnützige Vereine. Die frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kinderpflege wurde ab 1.8.2013 auf Kinder zwischen 1-3 Jahren ausgedehnt.

Verschiedene Kindergartenkonzepte.

Neben dem Regelkindergarten gibt es eine Reihe von Konzepten, die (vermeintlich) passend auf die (förderbaren) Neigungen des Nachwuchses oder die Vorlieben der Eltern ansprechen. Im integrativen Kindergarten treffen sich behinderte und nicht behinderte Kinder. Für Bildungsbeflissene oder bei Eltern aus zwei Nationen gibt es zweisprachige Angebote. Bewegungs- und Waldkindergarten holen Bewegungsmuffel aus der Reserve bzw. stellen sich bei frischer Luft in vielfältiger Weise der Natur. Montessori-, Walddorf- und Fröbelkindergärten folgen den bewährten Reformpädagogen. Bei Tagen der offenen Tür können sich Eltern über vielfältige Möglichkeiten vieler Einrichtungen informieren, um so den Wunschkindergarten herauszufinden.

Inge Krüger
Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf, Nr. 170, September 2013