Am 7. Mai 2014 zappte ich spät abends zufällig in die Sendung „zoom“ des ZDF hinein. Das Thema der Sendung lautete „Pillen für die Psyche“ – und es packte mich sofort! Eine Sendung die das Thema  ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) sachlich aber auch sehr kritisch betrachtete. Wissenschaft, Ärzte, Eltern und auch Betroffene (Kinder) kamen zu Wort – ich bin begeistert. Schon sehr früh, Mitte der achtziger Jahre machte ich als Pädagoge im Sonderpädagogischen Bereich mit der Diagnose meine Erfahrungen.

©-djama-Fotolia.com

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Zum damaligen Zeitpunkt lautete die Diagnose (der Ärzte) aber noch MCD (Minimale Cerebrale Dysfunktion), die lange Zeit gebräuchlich für den späteren Begriff (Diagnose) ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) war. Eigentlich wusste kein Arzt so richtig zu erklären, was die Ursache für die Symptome dieser „Erkrankung“ sind … Die Kinder waren halt aktiver, zum Teil aggressiver und sie zeigten Lernschwächen, Konzentrationsschwächen und diese Kinder hatten (und haben) sehr oft Schwierigkeiten im Sozialverhalten.

In meiner Gruppe hatte ich ein Mädchen, nennen wir sie Maxima, 9 Jahre jung. Maxima war klug, neugierig und lebendig. Sie besuchte eine Schule für Kinder mit Lernschwächen, da sie dem Unterricht in der Regelschule nicht folgen konnte. Nach der Diagnose MCD und einer Medikation war Maxima ein anderes Mädchen. Sie wurde still, introvertiert und teilnahmslos. Zur Freude der Lehrer, da Maxima nun im Unterricht weniger anstrengend/auffällig war. Ihre Mutter war eher noch mehr besorgt, da auch sie ihre Tochter kaum wiedererkannte.

25 Jahre später – die Diagnose (ich erlaube mir zu sagen Alltagsdiagnose) lautet heute ADHS, lernte ich Sebastian, 10 Jahre, an einer Grundschule kennen. Ein Déjà-vu – Sebastian, wird als sehr intelligent beschrieben (Lehrer, Eltern, Psychologen), wissbegierig, neugierig und sehr fröhlich – leider mit einigen hinderlichen Eigenschaften (sagen Schule und Psychologen)  „ausgestattet“. Er ist zum Teil sehr aggressiv (tickt aus), ständig unruhig, unkonzentriert, der Klassenclown, eigentlich nicht für die Regelschule geeignet! Da hilft doch nur eins – Medikation – Retalin, Medikinet und Co. Gesagt – getan- mit den Eltern gesprochen, zum Arzt geschickt (ADHS bestätigt), Diagnose der Schule (toll was Schule so alles kann …) stimmt und los geht’s. Sebastian war dann wie Maxima, einmal bezeichnete er sich als „Zombie“, weil er zu nichts mehr Lust hatte, nun gar keine Freunde mehr hatte und er sich körperlich nicht gut fühlte. Seine schulischen Leistungen verbesserten sich anfangs und seine Konzentration war zum Teil wesentlich verbessert, glücklicher war er aber nicht.

Ich will Medikamente nicht verteufeln, nicht bezweifeln, dass es Kinder mit einer sehr hohen, sozialen Intoleranz und Lernschwächen gibt, aber ich möchte Bezug auf den genannten Beitrag im ZDF nehmen. Einige Aussagen von führenden Wissenschaftlern und Ärzten aus dem Beitrag:

  • ADHS-Medikamente sollten unter das Betäubungsmittegesetz gestellt werden, das diese Drogen (von der Wirkung im Gehirn) sind.
  • Die Auswirkungen auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns können bis heute nicht beschrieben oder diagnostiziert werden.
  • Es gibt andere, bessere Wege (darauf gehe noch ein) mit der Diagnose ADHS umzugehen.

Was bedeutet die Diagnose ADS/ADHS für die Kinder und deren Eltern? Eltern stehen unter Druck, einerseits wollen sie dem Anspruch der Schule nachkommen, das Beste für ihr (auffälliges) Kind erreichen, anderseits erleben sie schon sehr früh das ihr Kind Außenseiter ist, auffällig, ausgegrenzt und von Schuldistanz bedroht ist. Auch im familiären Umfeld übersteigen die Erziehungsprobleme die Kräfte und Lösungsmöglichkeiten der Eltern. Wer will schon ständig hören, dass sein Kind nicht der Norm entspricht, Sonderpädagogischen Förderbedarf benötigt und selbst Freunde und Nachbarn distanzieren sich von den Eltern und deren Kind. Meine Erfahrungen zeigen deutlich auf, das die Diagnose ADS/ADHS sehr schnell und immer häufiger auch von den Kinderärzten gestellt wird. So soll den Kindern schnell geholfen werden und die Eltern entlastet werden – ein trügerischer Schluss …

Ich verstehe diese Eltern, die im Grunde nur Negatives hören und erleben, die Angst um ihr Kind haben – was soll nur aus ihr/ihm werden? Die Regelsysteme in der Grundschule sind mit diesen Kindern genauso überfordert wie die Eltern – was hilft, was sind die Alternativen zur Medikation?

Unsere Systeme in Kita und Schule, die Hilfen zur Erziehung (HzE) und Therapien – wir haben alle Boardmittel, die diesen besonderen Kindern helfen können. Bewegungsangebote, Unterricht, der die Bedürfnisse dieser Kinder berücksichtig, Therapien, familienunterstützende Maßnahmen, sowie die Weiterbildung sämtlicher pädagogischer Fachkräfte tragen dazu bei, Kinder mit der Diagnose ADS/ADHS zu fördern und zu unterstützen und das ohne Medikamente!

Ich lehne mich hier sehr bewusst weit aus dem Fenster – ich bin aus Überzeugung und Erfahrung gegen eine Medikation bei ADS/ADHS. Wollen wir zukünftig eine Gesellschaft sein (auf den Weg dahin sind wir schon), die ihre Probleme mit Pillen löst? Verabreichen wir Kindern, die im Deutschen nicht so gut sind zukünftig eine rote Pille und Kindern, die eine Matheschwäche haben eine blaue Pille ?

Mich interessieren Ihre Erfahrungen und Meinungen zum diesem Thema und ich freue mich auf Ihre Kommentare !

Andreas Oesinghaus
Arbeitsbereichsleiter für Schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit