Es war eine ungemütliche, nasskalte Woche. Am Vortag hatte es noch geschneit, aber die Einladung zum 23. März stand nun mal fest. „Wir laden herzlich zum Frühlingsfest im Interkulturellen Garten ein! Hinter dem Kieztreff, der sich als interkulturelles Nachbarschaftszentrum für Menschen aller Generationen und Kulturen aus der Umgebung versteht, entsteht ein Nachbarschaftsgarten.“ hieß es im Einladungstext. Garten, Frühlingsfest, Ende März, Schnee und Regen – na toll! Wer dachte im nasskalten März schon an Gartenarbeiten? Trotzdem kamen viele Gäste, genossen Kaffee, Kuchen und Grillwürstchen und eröffneten die Ideenschmiede. Der Nachbarschaftsgarten hinter dem Kieztreff fand großen Zuspruch und vier Monate später sieht die ganze Geschichte schon ganz anders aus.

Es ist Sommer und warm geworden. Seit Wochen hatten wir kaum Regen. Der Zuspruch der Anwohner für das Projekt interkultureller Nachbarschaftsgarten ist riesengroß.

Inzwischen existieren acht Hochbeete und ca. 80 – 100 qm Gartenfläche, die ebenfalls mit Nutzpflanzen und Obststräuchern kultiviert wurde. Im Moment sind die Hochbeete noch den Familien mit Kindern vorbehalten. Diese konnten sie sich mit Hilfe der übrigen  „Mit-Gärtner“ aufbauen und nach eigenen Wünschen gestalten. „Grünzeug“ und Samen mussten wenig angeschafft werden. Neben unzähligen Pflanzen, Büschen und Blumen bekamen wir auch Tomaten-, Paprika- und Auberginenpflanzen aus den nachbarschaftlichen Kleingärten gespendet.

Eine riesige Regentonne und ein Wasseranschluss im Garten wurde von dem Hausmeister-Team des Stadtteilzentrums aufgestellt und installiert. So können alle Pflanzen gut bewässert werden. Ein netter Stammgast des Nachbarschaftscafés hat dem Projekt Mutterboden und ein Gerätehäuschen geschenkt. Ein anderer Gast brachte einen Handrasenmäher und einer eine Schubkarre vorbei. Das Wichtigste, um so einen Garten einzurichten und zu unterhalten, war vorhanden. Eines Morgens stand ein großer blauer Müllsack vor unserer Einrichtung. Er war gefüllt mit ganz vielen schönen heilen Gartenzwergen. Das war eine gelungene Überraschung und Freude für Groß und Klein.

Besonders für die Kinder ist das Erlebnis des gemeinsamen Gärtnerns ein ganz Besonderes. Sie lernen den Weg des Pflänzchens bis zur reifen Frucht. Sie lernen, dass stete Pflege zum Erfolg führt und die strahlenden Augen bei der ersten Ernte sprechen für sich. Die Kinder lernen spielend, besonders in diesem Jahr knappe Ressourcen (z.B. Wasser, Mutterboden, Samen) gezielt einzusetzen und so mit reicher Ernte belohnt zu werden. In diesem Jahr wurden schon Kartoffeln, Gurken, Zucchini, Radieschen, Spinat, Salat, Zwiebeln und Johannisbeeren geerntet. Es wird auch noch viel experimentiert, was wächst hier gut und was nicht. Besonders aber lernen die Kinder auch Gemeinschaft und Miteinander kennen. Bei den Erwachsenen scheint es eher um Ruhe und Entspannung nach einem langen Arbeitstag zu gehen. Oft kommen sie direkt nach der Arbeit mit ihren Kindern in den Nachbarschaftsgarten, entspannen bei der Pflege des Beetes, verweilen und finden Gespräche, während die Kinder die Zeit im Freien genießen.

Der Garten ist so ein zusätzlicher Raum für Kommunikation geworden. Neben den acht Familien gesellen sich gerne die älteren Besucher des Kieztreffs zu den Gärtnern. Einige haben gute Tipps, da sie früher selbst Laubenpieper gewesen sind und andere freuen sich daran, wie alles gedeiht.

Durch den neuen Garten hinter dem Kieztreff entstehen auch andere schöne Aktionen: Die Kinder nennen sich nun „green pirates“. Als solche haben sie sich dieses Jahr bei der Aktion ‚Berlin machen‘ engagiert. 16 Teilnehmer, davon 8 Kinder, sind bei 30 Grad durch die Thermometer-Siedlung gelaufen und haben die Grünanlagen und Spielplätze vom Müll befreit. Sie haben eine Menge Müll gesammelt und dabei viel über Umweltschutz gelernt. So eine Aktion, bei der sich Kinder mit Spaß und Bewusstsein einsetzten, hat manchmal eine größere Nachwirkung als so manche Schulstunde. Die Anwohner haben den kleinen Müllsammlern viel Anerkennung entgegen gebracht, und auch diverse Eis-Großpackungen wurden später über den Gartenzaun gereicht.

Die alte Boulebahn im Garten war schon lange verwaist. Auch die hat die Gärtner-Truppe mit viel Mühe, Sachverstand und Liebe wiederhergestellt. Jetzt wird nachmittags und abends gerne noch eine Runde Boule gespielt. Ein fachkundiger Trainer ist mit an Bord. Eine langjähriger Stammgast im Nachbarschaftscafé war in jungen Jahren Europameister im Boule. Heute, mit über 70 Jahren, vermittelt er den jungen Eltern und Kindern die amtlichen Spielregeln und Tricks. Alle sind mit Begeisterung dabei. Die Tatsache, dass unser Senior einmal Europa-Meister war (er hat es bei den Franzosen hier in Berlin gelernt), wäre nie zur Sprache gekommen, wenn die Gärtner nicht die Boule-Bahn wieder instand gesetzt hätten. Faszinierend! Kommunikation durch Tun!

Die ungemütlichen, nasskalten Wochen werden wieder kommen. So ist nun mal der Lauf der Jahreszeiten. Im kommenden Winter werden sich Nachbarn beim Einkaufen oder im Kieztreff treffen und vom schönen Sommer und ihren Gemeinsamkeiten schwärmen. Der Verlierer beim Boule wird dem Gewinner zulächeln. Der Jugendliche das Papier, das er auf den Boden schmeißen wollte, wieder einstecken. Die Kinder sehnsüchtig die Erde im Garten beobachten und warten bis sich das erste neue Grün im Frühjahr wieder zeigt. Ein interkultureller Garten, in dem weit mehr wächst als Obst und Gemüse.

Rita Schumann

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 2.2018 mit dem Leitthema „Frei-Zeit“
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