1995 saß ich an einem Sonntagmorgen in unserer Küche mit meinem 10 Tage alten Kind auf dem Schoß. Mein Mann kam in den Raum und streckte mir mit einem strahlenden Lächeln eine rote Rose entgegen. Meine spontane Reaktion darauf war die Frage: „Was hast du denn jetzt angestellt?“ Das war mein erster Muttertag, was mir noch nicht wirklich klar war. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass alle Weiteren immer von dieser Episode begleitet waren. Der Muttertag steht nicht nur bei uns in der Diskussion und wird jedes Jahr erneut und kontrovers besprochen. Ob dafür oder dagegen, ob überhaupt notwendig oder noch zeitgemäß – die Geister spalten sich, wenn die Mütter geehrt werden sollen.

Fest steht, dass es kein Tag ist, den sich der Floristikverband ausgedacht hat. Römer und Griechen ehrten die Mütter. Die Engländer gingen im 13. Jahrhundert am Mothering Day in die (Mutter) Kirche. Napoleon wollte einen Muttertag einführen, dem aber ein kleines Waterloo dazwischen kam. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Tag mit dem Mothers Friendships Day und der Mütter-Friedenstag-Initiative in Amerika und England aufgegriffen. Als eigentliche Begründerin des heutigen Muttertags gilt Anna Jarvis, die in Philadelphia am 9. Mai 1907 ihre Mutter ehrte. Erst 1922/23 wurde der Muttertag durch den Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber mit Plakaten „Ehret die Mutter“ in den Schaufenstern etabliert. Die Nationalsozialisten missbrauchten den Tag seit 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“. Frauen, die viele Kinder zur Welt brachten und nur für ihre Familie da waren, galten für sie als Idealbild der Mutter. Für acht Kinder wurde ihnen das Mutterkreuz verliehen. Im geteilten Deutschland wurde auch geteilt geehrt. Im Osten am 8. März, dem Frauentag, der nichts mit dem Muttertag gemein hat. Im Westen am 2. Sonntag im Mai, allerdings nicht als offizieller Feiertag. Das Argument, dass es ein rein kommerzieller Ehrentag ist, fällt also weg. Er hat durchaus Geschichte vorzuweisen.

„Der Muttertag ist unnötig, weil man Mütter jeden Tag schätzen sollte. Das kann ich an 365 Tagen tun.“ Schon mal gehört? Ganz bestimmt. Aber liebe Männer, Söhne und Töchter, das tut ihr nicht. Es gibt sicherlich die rühmlichen Ausnahmen unter den Partnern und Abkömmlingen. Bei den meisten geht diese Wertschätzung fast garantiert im Alltag unter. Zu selbstverständlich ist immer noch die Rollenverteilung der Mütter als unter anderem Kinderkümmerin, Köchin, Einkaufslieferantin, Reinigungskraft, Haushaltsorganisatorin, Familienmanagerin, Freizeitcoach, Frustabladestelle und ganz nebenher 2. Gehaltsverdienerin. Während die Rolle der Väter in den letzten Jahrzehnten enorm aufgewertet wurde, hängt die tatsächliche Gleichstellung der Mütter noch immer hinterher – in der Aufgabenverteilung zu Hause, bei den Kariere-Chancen im Job und natürlich beim lieben Geld. Also, warum sollte man nicht den Muttertag als Anlass nehmen, um die Wertschätzung der Leistung der Mütter wenigstens einmal im Jahr zum Thema zu machen?

Nicht zuletzt müssten zudem veränderte Rollenbilder und Diversitätsbestrebungen bedacht werden. Haben Mütter allein überhaupt noch die zentrale Aufgabe in der Familienführung? Alleinerziehende Väter sind nicht mehr die Ausnahme und viele nehmen die Rolle des Hausmanns ein, in dem sie ihrer Partnerin das Geldverdienen überlassen. Regenbogenfamilien sind eine weitere Familienform, die die Mutter nicht unbedingt an den Herd stellen und das Monopol der Familienführung zuschreiben.

Die Bedeutung der Mütter hat sich nicht zuletzt in der Pandemie gezeigt. Im Lockdown bekamen die sie zusätzliche Jobs als Krisenmanagerin, Freizeittherapeutinnen und Lehrerinnen. Unter meist extrem hohen Belastungen, nicht zuletzt wegen finanzieller Sorgen, räumlich an den Belastungsgrenzen oder Sorgen um die schulische Laufbahn der Kinder. Quarantäne in einer Wohnung ohne Balkon mit drei Kindern mag sich niemand gerne vorstellen. Viele Mütter haben ihre Grenzen kennengelernt und brauchen Hilfe. Da nutzt kein Blumenstrauß an einem Sonntag im Mai. Wurde das Homeoffice zur Beginn der Pandemie als eine Möglichkeit begrüßt, Kindererziehung und Job unter einen Hut zu bekommen, müsste es nach einem Jahr nun wirklich jedem klar sein, dass es auf Dauer kaum zu leisten ist. Mütter sind an der Belastungsgrenze, desillusioniert und fühlen sich von Politik und Gesellschaft allein gelassen.

Bestrebungen, Mütter zu unterstützen, sind sicherlich da, aber nicht vollumfänglich wirksam. Es gibt Hilfesysteme oder Beratungsstellen, nur kann man die im Lockdown schwer erreichen. Solange in diesem reichen Land das Attribut „alleinerziehende Mutter“ als sichere Garantie für Verarmung gilt, liegt etwas sehr im argen. Es fehlt an Respekt gegenüber der Erziehungsleistung, an Unterstützung Alleinerziehender auf dem Arbeitsmarkt und im Steuerrecht. Finanzielle Grundsicherung für Familien und voller Lohnausgleich bei Krankheit und Betreuungspflichten ist nicht gegeben. Massive Verbesserung der Qualität in der Kinderbetreuung in Kita und Schule, längere und flexiblere Betreuungszeiten, Betreuungsangebote der Kinder in der Freizeit, Flexibilität in den Arbeitszeiten und vieles mehr fehlt.

Dem Muttertag kann man also durchaus einen großen Stellenwert zuschreiben. Allerdings sollte er eher Gedenk-, Aktions- und Diskussionstag werden. Der Blumenstrauß an einem Tag nutzt keiner Mutter, die die anderen 364 Tage nicht weiß, wie sie funktionieren soll. Statt zu debattieren, ob wir einen Muttertag brauchen, sollten wir besser darüber reden, bestehende Strukturen ändern, die letztlich der ganzen Gesellschaft nutzen. Statt also zu schauen, welcher Blumenladen geöffnet hat, fragt lieber mal, was ihr tun könnt, um zu helfen und zu unterstützen. Lasst euch was Gutes einfallen. Am Muttertag und an allen Tagen danach!

Anna Schmidt