Wir haben ein besonderes Jahr hinter uns – und es besteht wenig Anlass zur Hoffnung, dass wir schon bald wieder ins „normale“ Leben, wie es vor Corona war, zurückkehren können. 
 
Ein Begriff, der sich mir und vielen anderen Menschen im letzten Jahr ins Gehirn „gebrannt“ hat, ist der der „Systemrelevanz“. Im ersten Lockdown ab März 2020 rückte plötzlich ins Bewusstsein, dass bestimmte Tätigkeiten und Berufe für das Funktionieren unserer Gesellschaft eine höhere Relevanz, einen größeren Wert haben als andere. Und, oh Wunder: Nicht etwa Banker*innen, Broker*innen, Unternehmensführer*innen oder Autoverkäufer*innen galten als „systemrelevant“, sondern Pflegekräfte, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen, Lehrer*innen und viele andere „kleinen Leute“, die mit ihrem Dienst am Menschen unsere Gesellschaft am Laufen halten.

Am Anfang hat mich das gefreut. Endlich haben die oft so unterschätzten und sowieso unterbezahlten Berufe die Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen, die sie verdienen. Es wurde sogar von den Balkonen geklatscht … und das wars dann aber auch schon: Sehr schnell stellte sich bei mir Ernüchterung ein. Die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in den „systemrelevanten“ Berufen wurden nicht nachhaltig verbessert (mit wenigen branchenspezifischen Ausnahmen), und – was mir im nachhinein fast ebenso wichtig erscheint – die Einstufung in „relevant“ oder „nicht-relevant“ hat zusätzlich zu einer Spaltung in der Bevölkerung geführt. Menschen, die als nicht systemrelevant eingestuft wurden, hatten keinen Zugang mehr zur Kindertagesbetreuung und mussten weitere Nachteile in Kauf nehmen. Die offenkundige „Abwertung“ dieser Tätigkeit im Vergleich zu den systemrelevanten Berufen wurde oft als persönliche Abwertung und persönliche Kränkung wahrgenommen. Ich kann mich noch an unzählige Diskussionen mit Eltern in der Kita oder in der EFöB erinnern, die unsere Erzieher*innen mit in dieser Art verletzten Eltern führen mussten.
 
Zeit also, sich dem Begriff der „Systemrelevanz“ auch im Magazin des Stadtteilzentrums einmal ausführlicher zu widmen. In dieser Ausgabe kommen viele verschiedene Menschen mit sehr verschiedenen Perspektiven und Gedanken zu diesem Thema zu Wort: Mitarbeiter*innen des Stadtteilzentrum Steglitz, eine Künstlerin, ein Unternehmer aus Steglitz, die Leiterin eines Alpha-Projekts, der Geschäftsführer eines ambulanten Pflegedienstes (der in Personalunion auch Vorstandsmitglied unseres Vereins ist) und eine Gruppe von als „dauerhaft systemrelevant“ anerkannt sein wollenden Sozialarbeiter*innen.
 
Sie alle setzen sich – natürlich geprägt von ihren individuellen Erfahrungen in der Pandemie – sehr subjektiv, aber kraftvoll authentisch mit diesem sehr ambivalenten Begriff auseinander. Ich vermute, dass diese Beiträge und die sehr unterschiedlichen Sichtweisen sehr zur Diskussion einladen. In diesem Sinne freuen wir uns auf Ihre Rückmeldungen, auf Kommentare bei Facebook oder Twitter oder auf ein persönliches Feedback bei der nächsten persönlichen Begegnung.
 
Denn eins steht fest: Austausch, Diskussion und eine offene und angemessene Auseinandersetzung über verschiedene Sichtweisen ist immer bereichernd, immer systemrelevant. Nicht nur in Corona-Zeiten.
 
Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse und eine anregende Lektüre dieser Ausgabe des Magazins „Mittelpunkt“. Und: Bleiben Sie gesund!

Herzliche Grüße von Haus zu Haus!
 
Thomas Mampel
Geschäftsführung
Stadtteilzentrum Steglitz e.V.


Das Magazin „Im Mittelpunkt“ können Sie bequem auf allen Ihren Geräten lesen. Es steht Ihnen im ePup-Format oder als interaktives Pdf zur Verfügung. Zudem finden sie das Magazin im iTunes Store. In gedruckter Form bekommen Sie das Magazin in unseren Einrichtungen, den Rathäusern oder der VHS.