Es ist der 17. März 2020: Mein Telefon klingelt und meine Arbeitsbereichsleiterin teilt mir mit, dass ich umgehend nach Hause gehen soll. Ich bin Projektleiterin im Gutshaus Lichterfelde, einem Nachbarschaftshaus in Lichterfelde. Mir fehlen die Worte, aber natürlich beginne ich sofort alles zu organisieren, Gruppen und Beratungen abzusagen. Ich gebe den KollegInnen Bescheid, wir bereiten das Gutshaus auf die Schließung vor und dann geht es nach Hause.
 
Zu der Zeit wird überall über die COVID-19 Pandemie geredet. In den Nachrichten gibt es kein anderes Thema mehr. Angst, Unsicherheit und auch ein wenig Unverständnis macht sich breit und nun das. Zu Hause angekommen, fange ich langsam an zu realisieren, was gerade geschehen ist. Ich bin fassungslos, denn von jetzt auf gleich ist mein Projekt, mein Arbeitsplatz, der Nachbarschaftsbereich im Gutshaus Lichterfelde, geschlossen. Alle Einrichtungen meines Trägers sind nicht mehr geöffnet, auch die Kinder- und Jugendhäuser, die Kitas bis auf eine Notbetreuung. Die Verwaltung geht ins Homeoffice. Es muss sehr viel organisiert werden.
Ebenfalls aufgrund meiner Vorerkrankungen hat mich mein Arbeitgeber nach Hause geschickt. Ich bin dankbar für so viel Sorgfaltspflicht und Verständnis, aber irgendwie fühlt es sich sehr komisch und angsteinflößend an. Ab sofort Homeoffice auch für mich.
 
Ich muss erst einmal planen und mir die nächsten Tage strukturieren. Es ist gar nicht so einfach, denn ich habe noch nie im Homeoffice gearbeitet. Keiner hat mir gesagt, was ich beachten muss, wie organisiere ich mich selber? Also Gedanken sortieren und meinen Tagesablauf strukturieren, damit mein Alltag nicht komplett aus dem Ruder läuft. Meine Büroordner habe ich mit nach Hause genommen. Mein Diensthandy ist auf geladen, die Nummer bekannt für Menschen, die Hilfe und Beratung brauchen. Die ersten acht Tage zuhause waren ganz locker und eigentlich auch entspannt. Ab der zweiten Woche wurde dann klar, dass es länger dauern würde. In den Nachrichten hörte man von immer mehr Ansteckungen und auch von Verstorbenen. Meine Angst wurde größer, um mich und um die Menschen, die ich kenne. Verwandte und Freunde, aber auch um Besucher und Gäste, die schon sehr lange ins Gutshaus kommen.
 
Die Nachrichten werden nicht besser, noch mehr infizierte und verstorbene Menschen, die Zahlen steigen weiter. Die nächsten Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckung werden verkündet. Soziale Kontakte werden auf ein höchst mögliches Maß beschränkt. Jetzt fängt es an, wirklich gruselig zu werden. Man hat nur noch telefonisch Kontakt nach draußen oder mit den Menschen, die im selben Haushalt leben. Ansonsten heißt es Abstand halten! #wirbleibenzuhause und #bleibtgesund ist in den sozialen Medien überall präsent.
 
Alte Menschen sind besonders gefährdet, heißt es. Sie sollen möglichst nicht einkaufen gehen. Immer mehr Möglichkeiten bei denen Menschen ihre Hilfe anbieten werden bekannt. Ich gehe auch für meine Nachbarn einkaufen. Wenigstens kann ich etwas helfen, was mir selber guttut. Ich bekomme das Gefühl meine Arbeit, wenn auch etwas eingeschränkt, doch weiter zu verrichten.
 
Ich unterhalte mich mit Menschen, die ich beim Einkaufen treffe. Besonders die Hilfsbereitschaft und die Wertschätzung, die plötzlich wieder spürbar ist, berührt die Gesellschaft. Mir fällt auf, dass sich die Menschen durch dieses Virus verändern. Irgendwie wurde unser aller Alltag von jetzt auf gleich entschleunigt. Uns wurden gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. Eigentlich ist das gut, aber warum auf so eine harte Tour, fragt man sich. Na ja, ich glaube anders hätten wir es wahrscheinlich nicht verstanden. Also versuchen wir, es positiv zu sehen.
 
Ja, wir sind gerade eingeschränkt in unseren Lebensgewohnheiten, aber wir haben unser Herz, unsere Empathie für andere Menschen wieder entdeckt. Die, die für uns jeden Tag zur Arbeit gehen, ob es in den Krankenhäusern, in den Einkaufsläden oder auch auf den Baustellen usw. ist. Sogenannte systemrelevante Berufe werden uns bewusst. Wir sind dankbar, dass es sie gibt. Mir gefällt, dass diese Menschen jetzt auch ganz offiziell „Danke“ gesagt bekommen.
 
Es sind schon fast zwei Monate vergangen und so langsam fängt alles an, sich etwas zu beruhigen. Ich habe in diesen Tagen einiges gelernt: das sich alles von jetzt auf gleich verändern kann, das man seine Zeit sinnvoll, aber auch mit Verstand nutzen sollte. Selber habe ich mein Englisch wieder etwas aufgefrischt und mir viele Notizen gemacht, was ich noch so vorhabe mit meinem Leben. Ich denke, es wird eine spannende Zeit nach der Pandemie. Ich bin sehr glücklich, dass sich bis jetzt niemand aus meinem näheren Umfeld infiziert hat. Und auch, dass ich verschont geblieben bin.
 
Ich bin ein positiv denkender Mensch und ich denke, dieses Denken hat mir in den letzten Wochen geholfen. Ich glaube fest daran, dass alles wieder gut wird. Zwar anders als zuvor, aber dennoch positiv! Wie muss sich noch zeigen. Ich hoffe sehr, dass wir alle etwas aus dieser Zeit lernen, bereit sind für Veränderungen und für uns selber etwas mitnehmen.
 
Das sind meine zusammen gefassten Gedanken. Vielleicht etwas durcheinander, aber das ist diese Zeit gerade ja auch. Ich kann es kaum noch abwarten endlich wieder die Menschen, mit denen ich schon sehr lange zusammen arbeite, zu umarmen, Freunde zu treffen, Normalität zu genießen. All das, worauf alle warten …
 
Manuela Kolinski
Projektleiterin der Nachbarschaftsarbeit
im Gutshaus Lichterfelde