Anfang April in Berlin: Die Berliner SPD fasst auf ihrem Landesparteitag den Beschluss, dass Jugendoffiziere der Bundeswehr nicht mehr an Berliner Schulen informieren dürfen. Zur Begründung heißt es in dem Antrag: „Für Töten und Sterben macht man keine Werbung.“ Die Kritik an dem Beschluss ist groß, insbesondere aus den eigenen Reihen und auf Bundesebene. In zahllosen Medienbeiträgen wird darauf hingewiesen, dass Deutschland eine Parlamentsarmee hat. Es wird der Unterschied zwischen Jugendoffizieren und Karriereberatern deutlich gemacht. Soldaten als Staatsbürger in Uniform bezeichnet und auch darauf verwiesen, was der Auftrag unserer Parlamentsarmee ist. Die Pressesprecherin der Berliner SPD rudert zurück und räumt ein, dass der Antrag Missverständnisse zulässt, sei doch ein Werbeverbot für militärische Organisationen gemeint gewesen. Der Antrag kommt nicht durch, nicht zuletzt weil die Haushoheit der Schulen bei den Direktoren liegt. Doch der Schaden war angerichtet und die Bundeswehr und ihre Soldaten erneut negativ in aller Munde. Aber was sind sie nun, diese Soldaten? Krieger, Mörder, Staatsbürger in Uniform, Arbeitnehmer oder verkannte Helden? Ihre gesellschaftliche Anerkennung ist umstritten.

Eva* ist Berufssoldatin und Mutter. Ihren Sohn würde sie nicht in Uniform von der Schule abholen, weil sie nicht möchte, dass er in eine Schublade gesteckt wird. Trotzdem steht sie aus voller Überzeugung zu ihrem Beruf. Begonnen hatte sie eine zivile Ausbildung als Arzthelferin, als der Gedanke Berufssoldatin zu werden, konkreter wurde. Das war nach der Wende. Dabei stand für sie die soziale Absicherung im Vordergrund. Sie sah ein interessantes Aufgabenfeld, auch wenn sie wusste, dass es gesellschaftliche Vorbehalte und Auslandseinsätze geben könnte. Sie war zweimal bei Einsätzen in Afghanistan. Das zweite Mal war ihr Kind schon geboren. Das bedenkt man nicht bei der Vereidigung, sagt sie. Soldatin sein, ist für sie ein völlig normaler Job, so wie andere Bäcker oder Verkäufer sind. Ihre Aufgaben liegen überwiegenden im Bereich als pharmazeutisch-technische Assistentin in der Bundeswehrapotheke. Zusätzlich gibt es auch soldatische Tätigkeiten, wie Wachdienst, Märsche und anderes. Natürlich geht auch an ihr die politische sowie gesellschaftliche Diskussion über die Bundeswehr nicht vorbei. Aber, sagt sie, auch wenn sie Mutter ist, die Bundeswehr braucht eine gute Materialausstattung und keine Kindergärten.

Paul* ist mit 17 Jahren 1977 zur Bundeswehr gegangen. Sein Motiv war zum einen, aus Berlin heraus zu kommen. Zudem wollte er, durch seinen Großvater, Kapitän zur See, geprägt, zur Marine. Für ihn stand im Vordergrund, die Möglichkeit zu haben, zur See zu gehen. Er wurde Sanitäter und fuhr einige Jahre zur See, später wurde er Sanitäts-Ausbilder für fahrende Einheiten. Zu der Zeit als er Berufssoldat wurde, war die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee. Für Auslandseinsätze fehlte damals das Mandat. Das kam erst mit der Wende. Auch er sieht sich als Arbeitnehmer in Uniform mit einem besonderen Auftrag. Die Veränderungen innerhalb der Bundeswehr sind für ihn deutlich spürbar. War früher Disziplin und Kameradschaft gefragt, liegt heute eher das Gewicht auf Arbeitsvorschriften und Gleitzeit. Mit der gesellschaftlichen Veränderung hat sich für ihn auch die Bundeswehr sehr verändert.

Felix trat seine Grundausbildung 1979 in List/Sylt an und schied nach 13 Dienstjahren als Oberbootsmann in Köln aus. Dazwischen lagen zwei Bordkommandos auf Zerstörern der Hamburg-Klasse, ein Jahr bei den Marinefliegern und drei Jahre in einem Depot in Brest/Frankreich. Er gehörte also noch zur Bundesmarine und nicht mehr zur Deutschen Marine. Sein Vater, Kriegsgeneration, meldete sich 1957, also am Anfang der Bundeswehr, zur Marine und blieb dort bis zu seiner Pensionierung als Fregattenkapitän. Er erinnert sich, dass das Familienleben von und durch die Marine geprägt wurde. Er sagt, dass sechs Jahre Seefahrtzeit, sechs Jahre Erfüllung eines Kindheitstraums plus eines Bonusses von drei Jahren im Ausland es wert waren sich zu verpflichten.

Es war nicht der Traum vom Soldaten, vom Helden in Uniform, sondern die Sehnsucht nach der Seefahrt, sagt Felix. Und auch Eva* und Paul* weisen den Anspruch, heldenhaft zu sein, vollkommen von sich. Es ist Beruf und Berufung mit einem besonderen Anspruch. Ohne Zweifel sind sich alle Soldaten bewusst, dass im Ernstfall geschossen werden müsste, doch gilt die Waffe ausschließlich dem Eigenschutz oder Schutz anderer. Um die Handhabung von Waffen fachgerecht zu beherrschen, muss geübt werden, wobei es für die meisten auch bleibt. Im Normalfall sehen sie ihren Beruf als Job, sich selber als Bürger in Uniform, als Arbeitnehmer des Staates und der Gemeinschaft. Was ihnen fehlt, ist die gesellschaftliche sowie politische Auseinandersetzung mit der Stellung und der Geschichte der Bundeswehr. Hier sehen sich Soldaten meist alleine gelassen. Es besteht ihr Wunsch, dass wieder mit und von Soldaten gesprochen wird und nicht ausschließlich über die Unzulänglichkeiten eines Systems Bundeswehr, veraltete Traditionen oder die Notwendigkeit einer Parlamentsarmee. Es sind Menschen, die sich und ihre Familien für diese Gesellschaft einbringen, mitten in dieser Gesellschaft stehen und nicht zuletzt mit ihrem Beruf dafür gesorgt haben, dass wir seit 73 Jahren in Frieden hier leben können. Sie sind weder Krieger, Mörder oder verkannte Helden … sondern Bürger in Uniform, die sie meist nicht öffentlich tragen, um sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen. Was sich deutsche Soldaten oft wünschen, ist die gleiche Akzeptanz und Selbstverständlichkeit, mit der Soldaten in anderen Ländern begegnet wird. Davon ist Deutschland trotz Aufarbeitung seiner Geschichte und im bewussten Umgang damit noch weit entfernt.

*Namen geändert.

Anna Schmidt


Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 2.2019 mit dem Leitthema „Alltagshelden“
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