… um ein Kind großzuziehen!

Alleinsein ist für Eltern ein selten erlebter Luxuszustand, zumindest in den ersten Monaten und Jahren mit einem Kind. Und damit meine ich den Zustand, allein seine Zeit einzuteilen und zu machen, worauf man gerade Lust hat, oder was halt gemacht werden muss. Diesen Zustand haben Alleinerziehende Mütter und Väter naturgemäß noch seltener als Zweielternfamilien, es sei denn es gibt eine klare Besuchs- bzw. Wochenregel zwischen den Elternteilen. Dazu kommt noch, dass sie bei allen Entscheidungen, und seien sie noch so winzig oder wichtig, allein sind. Und davon gibt es im Alltag mit Kindern viele. Das fängt bei der Wahl des Entbindungsortes an und hört frühestens mit der Berufswahl des „Kindes“ auf. Dazwischen liegen Windeln, Ernährung, Kita, Schule, Freunde, Geburtstagsfeiern und unzählige andere kleine und große Entscheidungen. Dabei – so heißt es doch in einem uns allen bekannten afrikanischen Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen“ Davon haben wir uns leider als Gesellschaft immer mehr verabschiedet.

Alleinerziehende Elternteile haben als ganz besondere Anforderung, die Kinderbetreuung und den Alltag mit den Kindern und der Erwerbstätigkeit zu verbinden. Hier ist ein ganz besonders hohes Maß an Organisation und Kommunikation nötig. Auch wenn die Politik versucht, der immer größer werdenden Gruppe von Alleinerziehenden staatliche Hilfen zur Verfügung zu stellen, reicht es noch immer für jede fünfte Familie, die mittlerweile Einelternfamilie ist, nicht aus. Denn auch heute noch ist Alleinerziehendsein gleichbedeutend mit einem hohen Armutsrisiko. Wo sind da die Dorfbewohner, die sich um Eltern und Kinder kümmern? Oder liegt es daran, dass wir in der Großstadt ganz anonym nebeneinanderher leben und jeder meint, er bzw. sie müsse das Kind schon alleine schaukeln und sich schämt, Hilfe zu suchen und anzunehmen? 

Ich hoffe, diese allzu verbreitete Haltung der vergangenen Jahre ändert sich. Nicht zuletzt, weil Alleinerziehende und alle Eltern dieser Gesellschaft sich auf das wundervolle afrikanische Sprichwort besinnen und ihre Haltung und ihren hohen Anspruch an sich selbst endlich ändern! Stell Dir Deine Dorfbewohner zusammen, die Dein Kind mit Dir groß ziehen sollen! Fang an ihm und der Gesellschaft vorzuleben, dass sich Hilfe zu holen eine große Stärke ist! Denn, wie heißt es doch so schön in der viel belächelten Sicherheitsvorführung im Flugzeug: Versorgen Sie sich erst selber mit Sauerstoff und kümmern sich dann um die Kinder. Es hilft niemandem, und am wenigsten dem Kind, wenn Du alles alleine machst und dann zusammenklappst. Sei also freundlich zu Dir selbst und gib den anderen eine Chance, Dir zu helfen. Denn Helfen macht auch zufrieden. 

Und da ist es ein Segen, in einer Großstadt wie Berlin zu wohnen, denn hier gibt es vielfältige Angebote für Alleinerziehende Elternteile. Da ist das Projekt wellcome nur eins von vielen Puzzleteilen, die Eltern zur Verfügung stehen. Hier kommt im ersten Lebensjahres des Kindes eine Ehrenamtliche ein bis zweimal in der Woche für ein paar Stunden vorbei und nimmt das Kind, damit das Elternteil mal Alleinsein kann. Ob es in dieser Zeit badet, zum Frisör oder Arzt geht, schläft, den Haushalt macht, oder sich mit einer Freundin trifft, ist jedem Elternteil selbst überlassen. 

Es gibt in Berlin Angebote wie den Großelterndienst, Känguruh, Patenprojekte wie PUK e.V. die Erziehung-und Familienberatungsstellen, Familienzentren, Verbände für Alleinerziehende, Angebote der Frühen Hilfen und das Familienbüro, das u.a. bei Anträgen und finanziellen Fragen Antworten hat. Heute nennt man das Dorf aus dem afrikanischen Sprichwort wahrscheinlich Netzwerk und hier ist es gut, nicht nur ein analoges, sondern auch ein digitales Netzwerk zu haben. Denn wie wir alle sicher schon am eigenen Leib erfahren haben, ist es in belastenden Situationen wundervoll, Menschen zu haben, denen es genau so geht. Und so macht es die digitale Welt in Form von Foren, Blogs und Webseiten möglich, dass sich auch Alleinerziehende schnell und unkompliziert digital vernetzen, sich zuhören, Tipps geben und vielleicht auch analog treffen, weil sie im gleichen „Kiez“ leben. 

Ich hatte das große Glück, vor 17 Jahren nicht alleine mit meinen Kindern zu sein. Ich gebe zu, dass ich zuweilen fast neidisch auf meine Alleinerziehenden Freundinnen war, weil sie doch dann und wann ganze Wochenenden „kinderfrei“ hatten. Das hatte ich nie … aber ich hätte auch für nichts in der Welt getauscht, für das fehlende Glück, wenn wir die Freude über die ersten Schritte unserer Kinder, den ersten Brei oder das erste Wort oder ähnliches geteilt haben. 

Ich wünsche allen Einelternfamilien, dass sie in ihrem „Dorf“ jemanden haben oder schnell finden, der mit ihnen nicht nur das Leid, sondern auch die große Freude teilt, die ein Kind mit sich bringt.

Katrin Reiner
Elternlotsin Frühe Hilfen und
wellcome Koordinatorin

Nützliche Informationen und Tipps:
www.wellcome-online.de
www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/alleinerziehend/
www.vamv-berlin.de
www.shia-berlin.de

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 1/2018 mit dem Leitthema „Alleinsein“
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