Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Raum. Sie sind allein, sehen sich um, aber kennen diesen Raum nicht. Sie denken nach und sitzen dort ruhig eine Weile. Was denken Sie? Wie fühlen Sie sich? Ich glaube, Sie denken zu allererst nichts, aber Sie fühlen sich allein. Nein, Sie wissen, dass Sie allein sind. Allein in diesem Raum. Sie sitzen so lange in diesem Raum bis Sie anfangen, sich unwohl zu fühlen. Warum fühlen Sie sich unwohl?

Allein sein ist eine der größten Ängste der Menschen. Eine meiner größten Ängste und eines meiner größten Probleme. Bis vor kurzem. Schon als ich ein kleines wildes Kind war, merkte ich, dass ich nur wild war, wenn ich mich nicht allein fühlte. Da mich dieses Problem bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr begleitete, entschied ich mich für ein Auslandsjahr. Ich entschied mich für ein Land, das nicht hätte weiter weg sein können – Australien. Aber ich entschied mich nicht nur ein Auslandsjahr zu machen, sondern ich entschied mich, es allein zu machen. Eine komische Entscheidung für jemanden, der in seiner Kindheit nicht mal allein schlafen konnte. Als Kind halfen mir meine vielen Haustiere beim Einschlafen. Dank meines Hundes, dem das Alleinsein genauso wenig liegt wie mir. Zwei Angsthasen auf einem Haufen. Dies änderte sich bis vor dem Beginn meiner Reise nicht.

Ich flog am 24. Oktober 2017 allein nach Australien, aber ich blieb nicht lange allein. Bereits am Flughafen Frankfurt lernte ich zwei wunderbare Mädchen und in Dubai weitere vier Backpacker kennen, mit denen ich teilweise immer noch im Kontakt stehe. Dennoch fühlte ich mich die ersten Tage sehr unwohl, so unwohl, dass ich Panikattacken bekam. Aber nicht, weil ich allein war, denn das war ich nicht. Ich fühlte mich einsam. Einsamkeit ist der wahre Grund, warum ich, und soweit ich weiß, auch viele andere Menschen ein Problem mit dem Alleinsein haben. Einsamkeit ist das Gefühl, was sich bei ihnen breit macht, wenn sie länger allein in einem Raum sind und einfach nur nachdenken. Einem Raum, in dem sie für längere Zeit bleiben und den sie nicht kennen. In meinem Fall ein Jahr.

Mittlerweile bin ich seit vier Monaten in Down Under, habe die schweren Zeiten überwunden und fühle mich wohl. Pudelwohl. Wie es dazu kam? Naja, zu allererst kümmerte ich mich um wichtige Angelegenheiten. Bankkram und so. All das, was Mama und Papa vorher erledigt haben, musste ich zum ersten Mal allein klären. Ein Gefühl, das mich unglaublich stolz gemacht hat. Langsam fing ich an, von meinem Stuhl in meinem Raum aufzustehen und den Raum genauer zu betrachten.

Eigentlich blieb mir auch nichts anderes übrig, als in das kalte Wasser zu springen, an dessen Rand ich mich selbst gestellt hatte. „Klasse Henriette,“ dachte ich manchmal „du bist wie eine Maus, die um sich herum eine Mausefalle gebaut hat.“ Ähnlich wie bei einem Sprung ins kalte Wasser gab es eine Zeit, in der ich mich wie benommen fühlte. Ich fühlte mich weder wohl noch unwohl. Aber ich wusste, es muss weiter gehen, ich wusste, wenn ich jetzt nicht lerne, allein zu sein, werde ich es später viel schmerzhafter erleben müssen.

Also fing ich an die Vorteile des Alleinseins herauszufinden. Ich merkte, dass ich nun frei entscheiden kann. Ich war an niemanden gebunden, konnte kochen, was ich will und waschen, wann ich will. Ok, waschen, wann ich will, ist ein bisschen übertrieben, da ich das nicht wirklich will, sondern muss. Aber auch Pflichten gehören nun mal dazu.

Das wichtigste, was ich aber erst nach gut zwei Monaten verstanden habe ist, dass ich zwar allein bin, aber niemals einsam. Ich hatte immer die Möglichkeit, mit jemandem in Kontakt zu treten, gleich, ob analog oder digital. Ich würde schon sagen, dass ich stolz darauf bin, das alles geschafft und erkannt zu haben. Allein. Viel glücklicher bin ich aber mit meiner Entscheidung allein geflogen zu sein. Denn all diese Erfahrungen hätte ich mit einem Reisepartner nicht erlebt. Ich fange an, es zu genießen, allein sein zu können. Durch einen verletzten Fuß konnte ich drei Tage nicht arbeiten und hatte so drei Tage allein für mich in der Unterkunft.

An der Stelle einen Dank an meinen Fuß, der mir die drei Tage Lohn verwehrt hat. Drei Tage sind nicht viel, aber bei der wenigen Privatsphäre, die ich hier erfahre, ein Segen. Aber nicht nur in der Unterkunft, sondern auch bei der Arbeit lerne ich das Alleinsein sehr zu schätzen. Während ich meine Ruhe bei dem Entfernen von Blättern von Äpfeln habe, habe ich ausgesprochen viel Zeit über mich nachzudenken. Ich denke oft daran, was wäre, wenn sich die Wege mit meiner Mitbewohnerin trennen. Wir unterstützen uns gegenseitig sehr. Doch anstatt in Panik zu verfallen, wie es mir vor paar Monaten noch passiert wäre, erwische ich mich dabei, dass ich mich gut damit anfreunden kann, allein weiter zu reisen. Ich hatte immer Probleme mit dem Alleinsein, aber nie damit, Menschen anzusprechen, auf sie zugehen und
kennenzulernen. Nein, es macht mir sogar richtig Spaß. Klar, es braucht ein bisschen Mut, jemanden einfach anzusprechen, aber ich habe selten schlechte Erfahrungen damit gemacht. Mit einem freundlich Wort komme ich doch immer gut an!

Allein diese drei Monate haben mir gezeigt, dass ich alleine durchaus sehr gut klarkomme. Zwar gibt es hin und wieder mal Momente, in denen ich gerne meine Liebsten um mich hätte. Dennoch fühle ich mich weder allein, noch im Stich gelassen oder einsam. Hier trugen die sozialen Medien einen großen Teil dazu bei.

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass ich, wenn ich wieder in meiner trauten Umgebung bin, ich keine Probleme mehr mit dem Alleinsein haben werde. Ich habe den mir unbekannten Raum zu meinem Raum gemacht. Einem Raum mit mehreren Türen und viel Dekoration … und diesen Raum aus eigener Kraft gestaltet.

Henriette Schmidt

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ 1/2018 mit dem Leitthema „Alleinsein“
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