Der junge Mann stürmt in mein Büro und füllt innerhalb von Sekunden den ganzen Raum mit seiner Energie. Wir kommen schnell ins Gespräch, in dem wir uns darüber austauschen, was eine positive Ausstrahlung alles bewirken kann. Wir klären ein paar arbeitstechnische Dinge und schon ist er wieder weg. Ich bleibe etwas erstaunt alleine im Büro sitzen, denn ich weiß in Ansätzen, was er in den letzten Jahren hinter sich gebracht hat. Trotzdem hinterlässt mein neuer junge Kollege ein gutes und optimistisches Gefühl bei mir und ich glaube, dass er für seinen Job genau der Richtige ist. Haydarah’s Arbeitsbereich ist die unterstützende Tätigkeit in der Nachbarschaftsarbeit, speziell im Hinblick auf geflüchtete Menschen. Er war selber einer von ihnen und hilft nun bei dem, was ihm selber gelungen ist – der Integration.
 
Wir treffen uns ein weiteres Mal. Ich möchte es genauer wissen. „Wie ich nach Deutschland gekommen bin? Ganz normal. Wie alle anderen Flüchtlinge mit dem Flugzeug, Bus, Boot, zu Fuß, Zug, etc. … Aber die richtige Herausforderung begann hier in Deutschland, die neue Kultur, Gesellschaft, Sprache, Lebensart … aber mit der Zeit und einiger Mühe wurde alles einfacher.“ sagt er. – Moment. Ich bleibe hartnäckig. So normal kann das nicht gewesen sein bevor das mit der Gesellschaft und Kultur begann. Und dann erzählt er doch von seinem langen Weg hierher. Haydarah ist Syrer und lebte mit seiner Familie in Damaskus. Mit 18 Jahren hätte er zum Militärdienst gemusst und so wurde seine Flucht die einzige Alternative zum Krieg. Die Flucht kostete sehr viel Geld, was zur Folge hatte, dass er sie ohne Begleitung alleine bewältigen musste. Über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Makedonien, Serbien, Ungarn und Österreich kam er nach Deutschland, wo er über München nach Berlin kam. Heute sagt er, dass er so eine Flucht nicht noch einmal machen würde. Die meiste Zeit war er auf sich gestellt, erst ab Serbien fand er zwei weitere Männer mit denen er weiterreisen konnte. Die schlimmste Erinnerung hat er an das Boot, dass sie von der Türkei nach Griechenland brachte. Sie mussten stundenlang bewacht darin sitzend aushalten ohne zu wissen, wie es weiter geht.
 
Ende August 2015 kam er am Ziel an und zum Glück sagten ihm ein paar Leute, wo er die erste Nacht schlafen konnte. Gleich mit dem zweiten Tag begannen seine Erfahrungen mit dem LaGeSo*, das damals wegen der langen Menschenschlangen in aller Munde war. Auch an diesem Tag standen so viele Geflüchtete an, dass er keinen Termin bekommen konnte. Umsonst gewartet und kein Schlafplatz in Sicht. Wieder hatte er Glück und bekam von den Beamten die Adresse vom KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum im Süden Berlins. Dort kam er mit 14 anderen jungen Männern an, wo sie von Veronika Mampel empfangen wurden. Zwei Nächte konnten sie dort bleiben, dann mussten sie erneut zum LaGeSo. Von den 15 Männern konnten drei in Berlin bleiben und die bekamen Hoteltickets für 50 Tage. So sehr sie auch suchten – kein Hotel nahm sie auf. Sie riefen wieder Veronika Mampel an, die ihnen erlaubte vorerst in einer Einrichtung des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. unterzukommen. Auch sie suchte im Folgenden Unterkünfte für die drei jungen Männern, blieb jedoch ebenso erfolglos. 
 
In dieser Zeit standen sie viele Stunden vor dem LaGeSo an. Wenn sie keinen Termin hatten, gingen sie ins KiJuNa um sich die Zeit zu vertreiben. Haydarah erzählt, dass er sich schnell gelangweilt hätte. Im KiJuNa hätte er aber Benni kennengelernt, der dort arbeitete. Mit ihm verstand er sich gut, mit ihm konnte er viel Lachen und fand einen geduldigen Gesprächspartner bei seinen ersten Versuchen sich in Deutsch auszudrücken. Es war ihm von Anfang an klar: Wollte er in diesem Land Fuß fassen, musste er die Sprache so schnell als möglich lernen. Der Kontakt mit Benni brachte ihn zudem auf die Idee Veronika Mampel zu fragen, ob er und seine Mitbewohner nicht ehrenamtlich in KiJuNa helfen könnten. Veronika Mampel leitet die nachbarschaftsübergreifende Arbeit, koordiniert Ehrenamt und Flüchtlingsarbeit des freien sozialen Trägers und hatte so die Möglichkeit eine ehrenamtliche Beschäftigung für die jungen Männer zu finden. Darüber hinaus bekamen die Drei neben der Beschäftigung Kontakt zu Einheimischen und die Möglichkeit ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Parallel besuchten sie Deutschkurse, die im KiJuNa angeboten wurden. 
 
Nach drei/vier Monaten hatte Haydarah es geschafft: Er bekam die Aufenthaltsgenehmigung und damit die Arbeitserlaubnis in Deutschland. Und schließlich gelang V. Mampel, was tatsächlich sehr schwer ist – sie fand eine Wohnung in die Haydarah alleine einziehen konnte. Dieser ganze Prozess war begleitet von Papieren, die ausgefüllt werden mussten. „Vielen Papieren“, sagt Haydarah, und das ist der einzige Punkt in unserem Gespräch, an dem er etwas klagt. Deutschland, deine Formulare. Die Arbeitserlaubnis ermöglichte einen Job als Küchenhilfe und ein Praktikum in einer Unternehmensberatung. Ausbildung war ebenfalls ein gefasster Plan, der sich aber nicht umsetzen ließ. Nach bestandenem B2 Sprachlehrgang hatte er gerade den C1 Lehrgang begonnen, als wieder Veronika Mampel auf ihn zukam und ihm eine Arbeitsstelle im Stadtteilzentrum anbot. 
 
Ich frage ihn, wo er sich selbst in 10 Jahren sieht. Er lacht mich an und sagt, dass es immer anders kommt als man es plant. Das sei eine seiner großen Erfahrungen der letzten Jahre. In Syrien hatte er nach dem Abitur Wirtschaft und Informatik studiert, aber macht heute etwas ganz anderes. Er lässt es auf sich zukommen, würde aber gerne hier in Deutschland bleiben. Als ich ihn frage, woher er seine positive Ausstrahlung hat, antwortet er, dass er das tatsächlich hier erst gelernt hätte. Wenn man drei Monate täglich 12 Stunden warten muss, lernt man Geduld zu haben und gerade in dieser Zeit hätte er sehr viel darüber gelesen, wie man Emotionen und Gefühle in Griff bekommt. Früher sei er viel aggressiver aufgetreten um Stärke zu zeigen. Es hat sich für ihn aber gezeigt, dass er nichts erreicht, wenn er unangenehm oder fordernd auf andere zugeht. Mit einem Lächeln geht es leichter.
 
Ich habe meinen jungen Kollegen weitere Male im Rahmen der Arbeit getroffen. Dabei hat er immer gelacht und ist auch für jeden Spaß zu haben. Ich gebe mir dabei keine Mühe für ihn verständlich zu sprechen. Er lacht, wenn er etwas falsch ausspricht, lässt aber keine Ruhe, bis er es dann richtig kann. Nicht leicht für jemanden in dessen Muttersprache es kein Ä, Ö oder Ü gibt. Auch manche Buchstaben sind für ihn schwierig, weil sich der Name Benny genauso wie der Laden Penny anhört. Haydarah ist ein sehr gutes Beispiel für jemanden, der flüchten musste und eine gefährliche Reise hinter sich hat, dessen Familie nach wie vor in einem vor Krieg besetzten Land lebt. Der trotzdem hier angekommen ist, sich integriert hat und nun für andere eine große Unterstützung werden kann. Der Zufall hat ihn das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. finden lassen, bei dem er nun einen Beitrag zur Integrationsarbeit des Vereins leisten kann. Besser geht Integration kaum. 
 
Anna Schmidt
 
 *LaGeSo – Landesamt für Gesundheit und Soziales