pf_11 „Basty, hättest Du vielleicht Zeit und Lust, ein Graffiti-Projekt mit unseren Kids zu machen?“ Diese Frage wurde mir schon öfter gestellt und ich habe sie stets mit „Ja, sehr gern! Machen wir.“ beantwortet. Genau so war es auch, als mich ein Kollege aus der Ergänzenden Förderung und Betreuung an der Peter-Frankenfeld-Schule vor einigen Wochen ansprach.

Ab hier wurde dann einiges anders als sonst. So ist die Peter-Frankenfeld-Schule eine Schule für Kinder und Jugendliche mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ sowie Mehrfachbehinderungen. Es hat mich sofort sehr gereizt, dort ein Projekt durchzuführen, welches den Kids gerecht wird, ihnen Spaß machen soll und bei dem schöne Werke entstehen würden. Erst nach und nach und als der Termin näherkam, fragte ich mich, wie das wohl funktionieren werde und was wir am besten „malen“, bzw. sprühen würden?

Bald merkte ich, dass ich leider nicht frei von Vorurteilen oder falscher Scham an diese Aufgabe ging. Schon bei der Frage, was wir malen würden, dachte ich, mich speziell an den Defiziten der Kids ausrichten zu müssen. Oder ich fragte mich und die Kollegen vor Ort, ob ich beim Umgang mit den Kindern und Jugendlichen irgendetwas besonders beachten oder auch unterlassen solle. Fast schäme ich mich dafür! Aber Mike Haase (Projektleiter dieser Ergänzenden Förderung und Betreuung) bestärkte mich darin, so normal wie möglich mit ihnen umzugehen.

Nachdem wir gemeinsam letzte organisatorische Dinge klären konnten, sollte es also am Mittwoch, den 18.05.2016 losgehen. Es war ein Ferientag, der uns mit Sonnenschein und sehr vorfreudigen Kids versüßt werden sollte.

Etwas unsicher und extra etwas verfrüht begab ich mich zur Peter-Frankenfeld-Schule. Somit konnte ich auch beim Frühstück und beim Morgenkreis der Kinder dabei sein. Schon da wurde mir bewusst, dass ich heute die zu inkludierende Person sein würde. Fünf heitere Kinder und ihre Erzieherin begrüßten mich freudig zum Frühstück und nahmen mich sofort in ihre Runde auf. „Wie alt bist Du?“, „Hast du schon Kinder?“ All das wurde ausgiebig besprochen und geklärt. Auch haben wir uns alle gegenseitig vorgestellt. Ich lernte so fünf tolle, junge Menschen im Alter von elf bis achtzehn Jahren kennen, die es mir sehr leicht machten, Teil ihrer Gruppe für diesen Tag zu werden.

Kurz darauf trafen wir uns mit den sechs anderen Hortkindern dieses Tages in der Sporthalle zum Morgenkreis. Wer ist heute da? Welche Aktivitäten werden heute angeboten und wer wird an welcher später teilnehmen? Die Routine, mit der meine Kolleginnen und Kollegen dies durchführten und die Vertrautheit, die sie mit „ihren Kids“ haben, beeindruckten mich sehr. In diesem Moment wurde mir erneut deutlich, dass ich heute der Fremde, vielleicht sogar der Eigenartige in der Runde war. Ich kannte die Rituale der Runde nicht und wusste noch nicht, ob oder wie ich mich da einbringen könnte. Allerdings schlossen mich vor allem die fünf „angehenden Graffiti-Künstler“ so sehr mit ein, dass ich mich stets sehr willkommen dabei fühlen konnte.

pf_10 Sodann ging es auch endlich frisch ans Werk! Eine Tischtennisplatte wurde komplett in Folie gehüllt und diente fortan als Unterlage für unsere Leinwände, auf die wir mittels Graffiti-Spraydosen wunderschöne Weltraumbilder malen würden. Weil ich bei verschiedensten Projekten bereits einiges unerwartete und leider auch gefährliche erlebt habe, begann ich mit einer kleinen Sicherheitsbelehrung à la „Sprüht euch nicht ins Gesicht.“ und „Die Farben sind wirklich giftig, deshalb haben wir für euch diese tollen Maleranzüge und solche Atemmasken.“ Normaler Weise muss ich an dieser Stelle immer diskutieren, weil Jugendliche (zu Recht) davon ausgehen, dass sie ja nicht dumm sind und sich ja nicht selbst ansprayen würden. Ich muss dann dennoch immer auf die Einhaltung dieser Vorgaben pochen. Diesmal war es komplett anders. Sie hörten zu, fragten kurz nach und erfreuten sich dann an den lustigen Outfits. Spontan gab es die erste Fotosession des Tages mit fünf Kids in weißen Anzügen und mit weißen Atemmasken, wodurch sie schon etwas „spacey“ aussahen.

Ab jetzt war es einfach nur noch paradiesisch für mich! Wir malten stets nacheinander und Schritt für Schritt nahezu identische Bilder von drei Planeten im Weltall. Schablonen, Wischtechniken, Klecksen, Farbübergänge – nahezu alles, was man kreatives mit einer Spraydose anstellen kann, haben wir gemacht. Noch nie zuvor hatte ich dabei so disziplinierte und untereinander wertschätzende Projektteilnehmer*innen erlebt wie an diesem Tag. Sie lobten sich gegenseitig, machten sich Mut, bestimme Dinge zu versuchen und niemand ging auch nur aus Versehen gefährlich oder gefährdend mit den Arbeitsmaterialien um.

Pünktlich zum Mittagessen waren schließlich die Kunstwerke fertig und die stolzen „Sprayer“ posierten mit ihren Bildern für schöne Erinnerungsfotos. Auf mein Bitten bekam ich sogar noch ein Gruppenfoto von uns allen samt unseren Bildern. Als die Kids nun zum Essen gingen und ich kurz allein etwas aufräumen konnte, merkte ich, dass es schade wäre, jetzt schon zu gehen. Schade vor allem für mich!

pf_12 Daher folgte ich den Kids in ihren Raum, wo sie mit ihrer Erzieherin gerade noch beim Mittag saßen. Sofort wurde ich daran erinnert, dass ich am Morgen gesagt hatte, wir könnten ja auch zwischendurch noch Fußball spielen. Da nach dem Essen noch etwas Zeit sein würde, bevor am Machmittag die Kinovorführung starten solle, könnten wir ja gleich noch ein wenig kicken gehen. Abgemacht!

Kurz darauf zeigten sie mir den Weg zum Sportplatz und sofort fingen wir an zu spielen. „Wir nehmen das Tor und ihr habt die Wand vom Schuppen!“ Das und ein Ball – mehr brauchten wir nicht, um sofort loszulegen. Bei bestem Wetter erfreuten sich dann auch alle weiteren Hortkinder zusammen mit ihren Erzieherinnen und Erziehern an dem packenden Spiel. Ich glaube mich zu erinnern, dass mein Team knapp mit 10:8 gewonnen hat. Yeah!

Zum Abschluss des Fußballspiels kamen wir nochmal in einen kleinen Kreis zusammen und auf das Kommando „Was sind wir?“ antworteten alle, also wir, also ich auch: „Ein Team!“

Schon sehr lange hat mich bei der Arbeit nichts mehr zu Tränen gerührt, aber als ich mich hiernach auf den Heimweg machte, hatte ich einen kiloschweren Kloß im Hals und eine Träne im Auge.

Ich beglückwünsche meine Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu diesen Kids und ziehe meinen Hut vor der großartigen, wertschätzenden und ressourcenorientierten Arbeit, die sie dort leisten. Mit großer Freude werde ich mein Versprechen einhalten, „meine Sprayer“ wieder zu besuchen.

Es ist schließlich ein enormes Geschenk, wenn man als Fremder kommt, in den Kreis geholt wird, um zum Teammitglied gemacht zu werden. Dafür und für den ganzen Tag danke ich neben den Kollegen vor allem und von Herzen Lisa, Asmaou, Arda, Adrian und Dustin!

Sebastian Unger
Projektleiter der EFöB an der Helene-Lange-Schule und
Arbeitsbereichsleiter – Schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit

 

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