„Ungünstige Arbeitszeiten an einem wunderschönen Arbeitsplatz“ – So lautete der Text der Zeitungsannonce aus dem Jahr 2003, und die leichte Selbstironie machte neugierig. Glücklicherweise fand die damalige Leiterin des Kinder- und Jugendhauses Immenweg, die mir eigentlich aufgrund meiner zu späten Bewerbung absagen wollte, meine Ansage auf meinem Anrufbeantworter so lustig (wer sie nachhören möchte: auf https://www.youtube.com/watch?v=YSAvqLj-VOE ist sie verewigt), dass sie mich spontan doch noch zu einem Vorstellungsgespräch einlud.

In Vorbereitung auf dieses Gespräch musste ich mir natürlich die Frage stellen: Offene Kinder- und Jugendarbeit – was ist das eigentlich? In meiner 100.000-Einwohner-Heimatstadt gab es den Begriff im Grunde nicht, und daher war er auch nur marginal Teil der Ausbildung (es gab einen sogenannten Jugendhof, aber das war eher ein Veranstaltungsort).

Bei meiner Ankunft zum Vorstellungsgespräch konnte ich gleich feststellen, dass der zweite Teil des Annoncentextes schon mal stimmte: Ein kleines, tolles Haus am Rande eines Sportplatzes, drinnen eine angenehme Atmosphäre, Spielmöglichkeiten, Chillmöglichkeiten, viel Licht und viele Räume. Auch die „ungünstigen“ Arbeitszeiten erklärten sich: Die Angebote orientierten sich natürlich am Freizeitverhalten der Zielgruppe, also nachmittags bis abends. Das Gespräch verlief erfolgreich, und nach nicht mal einem halben Jahr konnte ich, da meine Chefin aus privaten Gründen Berlin verließ, die Leitung übernehmen.

Es wurde ein Abenteuer!

Das Haus war fast neu, und als ich anfing, gab es nur wenige Stammbesucher*innen – wenn mal ein halbes Dutzend Kinder und Jugendliche am Tag bei uns vorbeischaute, war es schon geradezu voll. Daher gingen wir die Frage, was eigentlich „Offene Jugendarbeit“ bedeutete, ganz pragmatisch an: Was brauchen die Kids, was wünschen sie sich, und auch die Frage, was wir NICHT sein sollen, bekam Bedeutung. Im Laufe der Jahre haben wir gemeinsam Antworten auf diese Fragen gefunden, aber auch festgestellt, dass sich diese Antworten immer wieder ändern

Trends und Themen sind heute andere als noch vor fünf, vor zehn oder vor zwanzig Jahren. Digitalisierung spielte, als ich anfing, noch kaum eine Rolle, heute ist sie eines der bestimmenden Themenfelder. Wir konkurrierten schon damals mit anderen Angeboten, mit Eisbahn, Schwimmbad oder Shopping-Mall, heute konkurrieren wir mit TikTok, Netflix und Fortnite. Was sollen wir bieten, was macht uns einzigartig, was sollen Kinder und Jugendliche von 10 bis 18 Jahren (und darüber hinaus) bei uns finden?

Auf der einen Seite findet man die Antworten natürlich im Programm: Wir bieten Kochgruppen, Kunstgruppen, Hausaufgabenbetreuung, Sport, Spiel, Ferienprogramme mit Ausflügen, Theater, Film, Tanzgruppen, Feiern, Projekte und so weiter und so fort. Einiges davon ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal, beispielsweise die Filmgruppen, die einen hohen professionellen Anspruch haben. Vieles aber findet man anderswo auch und in ähnlicher Form. Warum also zu uns?

Nach vielen Jahren in unserer Einrichtung habe ich noch immer keine endgültige Antwort auf diese Frage, aber eines weiß ich mittlerweile: Es sind nicht unbedingt die Angebote, die uns attraktiv machen. Es ist die Atmosphäre, es ist die Art und Weise, wie die Angebote präsentiert werden. Unsere Besucher*innen sollen sich gut aufgehoben fühlen, sie sollen sich beteiligen können, sie sollen die Imme nicht als einen Ort mit einer guten Tanzgruppe oder einem coolen Billardtisch in Erinnerung behalten, sondern als einen Ort, wo sie als Kind oder Jugendliche*r gern hingekommen sind, auch als sie noch gar nicht wussten, was genau sie suchen.

Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Vor vielen Jahren hatten wir eine Praktikantin, die mir eines Abends „beichtete“, dass sie heute Mist gebaut habe: Sie hat kaum Tresen-Dienst gemacht, hat kaum mit Kindern Tischtennis oder Rummikub gespielt, hat keinen Obstteller gemacht und nicht auf Regeleinhaltung geachtet. Nein, sie saß lange mit verschiedenen Besucher*innen im Beratungsraum und sprach mit diesen über Gott und die Welt, über große und kleine Sorgen mit der Schule, mit Freunden oder mit den Eltern. Sie habe sich dabei so verquatscht, meinte sie, dass sie die „eigentliche Arbeit“ vernachlässigt habe. Nach Konsultation des Teams kamen wir schließlich zu der Erkenntnis, dass sie im Grunde genau die „eigentliche“ Arbeit erledigt hat. Sie hat es geschafft, Vertrauen aufzubauen, sodass man ihren Rat oder einfach nur ein offenes Ohr bei ihr sucht. Genau darum geht es: Die Einrichtung ist kein Familienersatz, aber sie ist ein verlängertes Wohnzimmer, in dem viele Kinder und Jugendliche Jahre ihres Lebens verbringen, und sie ist somit vielleicht ein Teil einer glücklichen Kindheit.

Das Abenteuer ist also nie vorbei!

Jörg Backes
Projektleitung Kinder- und Jugendhaus Immenweg