Was ist denn da los? Im Garten des Schülerclubs Memlinge wird immer montags und donnerstags gejuggert. Es sieht aus wie eine wilde Prügelei, ist aber ein Sport: Bei „Jugger“ entscheiden Schnelligkeit und Koordination. Die Kinder schlagen sich mit seltsamen Gegenständen, die wie überdimensionale Ohrenstäbchen aussehen. Nach dem Startsignal rennen sie wild aufeinander los. Jeder Außenstehende wird sich fragen: Sind das Mittelalter-Festspiele? Oder ist dies ein Bandenkrieg? Nein, hier geht es um Sport.

Diese noch recht unbekannte Sportart nennt sich „Jugger“ und mutet zunächst etwas chaotisch an. Auf der Internetseite Jugger.de wird die Sportart als eine „Mischung aus American-Football und Gladiatorenkämpfen“ beschrieben.

Jugger ist ein Ballspiel mit außergewöhnlichen Regeln, das Einzel- und Teamsport in sich vereint. Die Theorie erscheint für viele zunächst kompliziert, da das Regelwerk über 20 Seiten beinhaltet. In der Praxis ist es jedoch leicht verständlich und schnell umsetzbar, wie wir im Schülerclub festgestellt haben. Nachdem wir einige Wochen mit dem „Pompfenbau“ beschäftigt waren, studierten wir die Regeln des Juggern und verkürzten diese für uns. Zusätzlich bekamen wir Unterstützung von einem Jugger Profi, Martin Schmidt, der seit Jahren im Berliner Jugger e.V. juggert und auch viele Kindergruppen in das Juggern einführt.

Bei Juggern gibt es zwei Mannschaften mit je 5 Spielern. In jeder Mannschaft sind vier „Pompfer“ und ein „Läufer“ dabei. Nur der Läufer darf den Spielball aufnehmen, tragen und in das Platzierfeld, das „Mal“, stecken. Seine vier Mitspieler haben die Aufgabe, ihn vor der gegnerischen Mannschaft zu schützen und das Punkten durch den gegnerischen Läufer zu verhindern. Nach jedem Punkt nehmen die Mannschaften erneut am Rande des Spielfelds Aufstellung, während der Spielball, der „Jugg“ zurück ins Zentrum des Spielfeldes wandert. Auf ein Startsignal hin rennen beide Teams zur Feldmitte und versuchen, den Jugg an sich zu reisen und ihrem Läufer einen Weg freizukämpfen.

Spielgeräte/ Polsterwaffen:

Was macht Jugger aus? Schnelligkeit und Koordination – darauf kommt es an! Der Sport mag auf den ersten Blick gewalttätig aussehen, aber die Verletzungsgefahr ist nicht größer sein als in anderen Sportarten. Die selbstgebauten „Pompfen“ sind dick mit Schaumstoff oder Rohrisolation umwickelt, und um das Verletzungsrisiko zu minimieren darf auf Kopf, Hals und Handgelenk gar nicht erst geschlagen werden. Gegenseitige Rücksichtnahme ist sehr wichtig.

Zudem hat Jugger einen pädagogischen Wert. So wird der Sport beispielsweise zur Gewaltprävention an Schulen eingesetzt. Lehrer berichten, dass der Sport nur im Team funktioniert, mit klaren Regeln und es ist eben kein wildes Aufeinanderschlagen. Seit Jugger an der Schule im Unterricht gespielt wird, sei das Konfliktpotenzial unter den Schülern zurückgegangen.

Diese Sportart gibt es schon seit einigen Jahren, dennoch ist sie noch recht unbekannt. Ich selbst habe das Juggern vor 10 Jahren in einer Jugendfreizeiteinrichtung kennengelernt und habe gemerkt was die Jugendlichen daran für einen Spaß haben. Zuerst haben wir Jugger nur für die älteren Kinder im Schülerclub angeboten, da aber die kleineren Kids ein großes Interesse gezeigt haben, juggern nun alle Kinder zusammen bei uns. Voraussetzung bei uns ist, dass sie die Regeln kennen, welche abgefragt werden und bei bestandener „Prüfung“ erhalten sie den „Jugger Pass“ und dürfen mitmachen.

Hier ein paar Fakten zum Juggern: (entnommen aus: Ruben Philipp Wickenhäuser: „Ran an die Pompfe! Pädagogische Chancen einer neuen Sportart“; Ludwigsfelder Verlagshaus 2014, S.87ff)

  • Jugger sieht keine verletzenden, destruktiven Handlungen für Teilnehmende vor
  • Es geht um ein Sich-Messen, um Geschick, Selbstkontrolle, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, Körperwahrnehmung und -bewusstsein, um die Kanalisierung von Kräften.
  • Zusammenarbeit, Kommunikation und Rücksichtnahme sowohl gegenüber dem eigenen als auch dem gegnerischen Team ist essentiell.
  • Jugger stellt jedem teilnehmenden Individuum die Aufgabe, sowohl ständig auf sich selbst zu achten, als auch auf Mitglieder des eigenen und gegnerischen Teams.
  • Es fördert so die Solidarität aller Beteiligten.
  • Jugger fördert Sportlichkeit, d. h., gezielte körperliche Bewegungsabläufe, motorische Koordination, körperliche Tüchtigkeit und den Sportgeist, sich körperlich mit anderen zu messen, ohne dabei Verletzungen zu verursachen, Freude daran zu empfinden, wertzuschätzen, Siegen und Verlieren zu erfahren.
  • Das Angebot ist für die Teilnehmenden neuartig, es bietet die einzigartige Mischung von Teamspiel und dem gleichzeitigen Gebrauch von zum Fechten verwendeten Spielgeräten.
  • Jugger ist eine Sportart, für die die Teilnehmer die Spielgeräte selbst herstellen und dadurch den Transfer von dem spezifischen Sicherheitsaspekt gepolsterter „Pompfen“ – im wahrsten Sinne des Wortes – „begreifen“ können.

Begriffserklärungen:

(entnommen aus: Ruben Philipp Wickenhäuser: „Ran an die Pompfe! Pädagogische Chancen einer neuen Sportart“; Ludwigsfelder Verlagshaus 2014, S.9)

Abknien:

Getroffene Spieler knien für eine bestimmte Zeit ab. Danach können sie wieder aufstehen und weiter aktiv am Spiel teilnehmen.

Abschlagen:

Das Abgeschlagen werden ist ein essentieller Aspekt des Sportspiels. Wer abgeschlagen wurde, muss abknien.

Jugg:

Auch „Schädel“. Der selbstgemachte Spielball im Jugger, traditionell in Gestalt eines Hundeschädels, inzwischen gelegentlich auch eines Rugby-Eis. Die Form geht auf den Endzeit-Film zurück, für den Jugger erfunden worden ist.

Kette:

Eine über drei Meter lange Pompfe in Gestalt einer Plastikkette mit einem Softball am Ende.

Mal:

Das „Tor“ bzw. Platzierfeld. Ein Hohlspitzkegel, in dem der Jugg stecken bleiben muss.

Läufer:

Siehe „Qwik“.

Pin:

Legt ein Spieler seine Pompfe auf einen abgeschlagenen Gegner, darf dieser nicht wieder aufstehen, bis die Pompfe fortgenommen wird.

Pompfe:

Vier Spieler führen „Pompfen“ – keine Waffenimitationen, sondern genuine Spielgeräte. Mit ihnen werden Gegner abgeschlagen.

Pompfer:

Spieler, der eine Pompfe führt.

Qwik:

Der Läufer. Einziger Spieler, der keine Pompfe führt und den Jugg aufnehmen, tragen und ins Mal stecken (= punkten) darf.

Schädel:

Siehe „Jugg“.

Sandra Singh
Projektleitung Schülerclub Memlinge