Ich kann mich noch gut erinnern an diesen 9. November 2015, einen historischen Tag für das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. und für mich! Ich saß mit Esther bei unserem Lieblingsgriechen als die Meldung in der eigens dafür eingerichteten WhatsApp-Gruppe kam – es geht los! Wie oft hatten wir an diese Situation gedacht und gewartet, darauf dass wir unsere erste Notunterkunft eröffnen …

Nun war es soweit – „bitte zahlen!“ Neugierig und aufgeregt verließen Esther und ich unseren Griechen in Richtung Wedellstraße, zur Kiriat-Bialik-Sporthalle, die nun unsere erste Notunterkunft werden würde. Esther und ich hatten uns als ehrenamtliche MitarbeiterInnen für den ersten Tag eingetragen … was wohl auf uns zukommen würde? Ich kann noch heute die Bilder und die Gerüche des ersten Abends, der ersten Nacht abrufen. Die Bilder von Menschen, die gerade von ihrer Flucht in Berlin angekommen waren, von den vielen Kindern, die schlafend überall lagen, den Gerüchen und den geschundenen Füßen. Diese Eindrücke gingen mir/uns sehr nahe und auch die Tränen in meinen Augen gehörten zu diesem Abend.

Als Esther (ist meine Frau 🙂 ) und ich gegen 4.30 Uhr schlafen gingen, war ich aufgewühlt und geschafft, aber stolz darauf, dass wir mit den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen MitarbeiterInnen den ersten Abend, die erste Nacht geschafft hatten. Schon um 8.30 Uhr des nächsten Morgens waren wir wieder in der Notunterkunft und zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich mich in die Arbeit mit geflüchteten Menschen total „verlieben“ würde. Es wurde zu einer Herzensangelegenheit, zu einer Erfahrung, die ich nicht missen möchte und wegen der ich in diesem Jahr so viel dazu lernte …

Nun, ein Jahr später – ich bin Arbeitsbereichsleiter für den Aufbau & Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete geworden, kann ich Ihnen/euch sagen, dass es jede Minute wert ist in dieser Arbeit tätig zu sein. Wir gingen davon aus, das wir max. 3-6 Monate mit den Menschen in der Notunterkunft arbeiten würden. Nun sind wir schon mehr als 1 Jahr tätig. In diesem Jahr wurde aus der Notunterkunft eine Gemeinschaft, die stets auf Augenhöhe, mit Beteiligung und Wertschätzung der BewohnerInnen ein gemeinsames Konzept in der Notunterkunft entwickelt hat. Wir haben bisher so viel gemeinsam erlebt – Hilfreiches und Hinderliches – gemeinsam Lachen und gemeinsam Weinen – Hoffnung und Enttäuschung und immer wieder die Frage „Wie geht es weiter?“ – „Wann kommen wir aus der Notunterkunft raus?“ Diese Fragen begleiten uns seit einem Jahr und immer wieder mussten wir die Menschen vertrösten – es gab keine oder nur vage Antworten zu diesem Thema.

Die Menschen in unserer Notunterkunft sind heute teils hoffnungslos und frustriert: Die von ihnen erhoffte Zukunft, eigener Wohnraum und eine neue Lebensperspektive sind immer noch weit entfernt … 1/3 unser BewohnerInnen leben seit mehr als einem Jahr in einer Turnhalle und sie sind immer noch freundlich, wertschätzend und sie geben (noch) nicht auf, an ein besseres Leben zu glauben! Ich hoffe nun, dass die Versprechen des Senats und des Bezirks endlich in die Tat umgesetzt werden und diese so tollen und starken Menschen bald eine neues zu Hause bekommen.

Ich bedanke mich von Herzen bei unseren BewohnerInnen und bei meinen MitarbeiterInnen für die Menschlichkeit, das Durchhalten und für die vielen Erfahrungen, die uns alle bereichert haben. Vor allen Dingen dafür, dass wir die Chance bekommen haben unsere „neuen“ MitbürgerInnen kennenzulernen. Stärke, Mut, Kraft und so viele Ressourcen, die wir nun geschenkt bekommen, sind für mich ein so großartiger Gewinn für unsere Gesellschaft.

1 Jahr Notunterkunft ist kein Grund zum Feiern – nicht für unser BewohnerInnen und nicht für uns: Lasst uns feiern, dass wir gemeinsam etwas geschafft haben … zusammen durchzuhalten!

Andreas Oesinghaus
Arbeitsbereichsleiter für den Aufbau und Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete

 

Die Gedanken der MitarbeiterInnen:

 

„Ein Jahr ist schon vorbei…

Ein Jahr voller Liebe und Hass, voller Vertrauen und Misstrauen, voller Freude und Trauer, voller Hoffnung und Verzweiflung, voller Begeisterung und Entmutigung …

Ein Jahr ist schon vorbei…“

MD

 

Ein Jahr NU Wedellstraße, Zeit mal einen Blick zurück zu werfen auf ein ganz besonderes Jahr:

Hergekommen bin ich eher durch Zufall, selbst ganz neu in Berlin, noch ein bisschen auf der Suche nach meinem Platz in dieser Stadt.

Wie würde es sein, in einer Notunterkunft? Auch ich hatte Medienberichte verfolgt über die Not der Menschen in ihren Herkunftsländern, auf der Flucht, aber auch über gewalttätige Auseinandersetzungen in Unterkünften in Deutschland.

Ich erinnere mich noch gut an die ersten Tage und Wochen in der Notunterkunft. In der Halle war es sehr voll, alles noch sehr provisorisch, die Bewohner erschöpft von der Flucht. Früh am Morgen erfolgen Bustransporte zur Registrierung im Lageso, einige Bewohner kommen von dort nicht zurück, eine Rückmeldung darüber, wo sie gelandet sind, bekommen wir nicht. Auch das wird uns hier begleiten: Abschied nehmen, immer wieder, Menschen nur ein kleines Stück auf ihrem Weg begleiten, auch daran muss ich mich erst gewöhnen.

Die materielle Not in den ersten Wochen war groß, bei den Ausgaben von Essen, Kleidung und Hygienebedarf gab es lange Schlangen. Ich fand mich plötzlich in der Position Dinge des täglichen Bedarfs zu rationieren, so dass es für alle reicht. Eine Rolle, die mir fremd war und bis heute ein Teilen auch geblieben ist.

Das Team war noch im Aufbau. Alle bewegten sich auf neuem Boden, keiner war vorher in einer Notunterkunft tätig gewesen. Schnell war klar, es gibt keinen Leitfaden an dem man sich lang hangeln kann, vom ersten Moment an waren eigene Ideen und die Fähigkeit zur Improvisation gefordert. Trotz, oder vielleicht gerade wegen dieser besonderen Anfangssituation, hat sich ein ganz tolles Team zusammengefunden.

Es passierte unglaublich viel in diesen ersten Wochen. Der Kraftraum, beim ersten betreten noch unvorstellbar, wurde dank vieler Spenden in ein schönes Spielzimmer verwandelt. Ein Rückzugsraum für die vielen Kinder, die hier in den ersten Monaten untergebracht waren. Anfangs war an ruhiges, gemeinsames Spiel, konzentriertes Basteln oder Vorlesen nicht zu denken. Ich springe vielmehr von einem Konflikt zum nächsten. So, wie sich die erwachsenen Bewohner in den ersten Wochen schwer getan haben mit Menschen verschiedener Nationalität zusammen zu leben, so werden auch im Spielzimmer viele Konflikte aufgrund von Gruppenzugehörigkeit geführt.

Im Januar dann endlich der erste Schultag. Aufgeregt und mit Schultüte in der Hand sind die ersten Kinder losgezogen. Mit dem Schulbeginn entspannte sich die Situation auch in der Halle. Die Kinder hatten eine feste Struktur, die ersten unsicheren Wochen waren vorbei und die Betreuung im Spielzimmer konnte richtig beginnen. Dank der wunderbaren Unterstützung von Ehrenamtlichen haben wir es geschafft einen kleinen Kindergarten einzurichten. Wir unternehmen in den folgenden Monaten viele Ausflüge zu den umliegenden Spielplätze, fast nie ohne vorher noch das ein oder andere Kind mit passender Kleidung zu versorgen. Die Kinder kommen spürbar Tag für Tag mehr hier an. Können zunehmend mehr in Ruhe spielen, freuen sich über Angebote, Basteln und Singen mit uns. Auch das Vertrauensverhältnis zu den Eltern wächst mit jedem Tag. Wir klären Fragen zur Erziehung, der richtigen Ernährung und der notwendigen ärztlichen Versorgung.

Die größere Nähe zu den Familien bringen mir auch die Probleme der einzelnen Familien näher, nicht immer leicht. Die Schilderungen über die belastende Situation im Herkunftsland, die Ungewissheit über ihre Perspektive in Deutschland und ihre Lebensumstände in der Halle, lassen sich nicht am Tor einfach abschütteln.

Es gibt aber auch immer wieder Grund zur Freude … jeden Tag ein kleines Stück. Das Baby, das im Herbst hier ankam ist keins mehr, nein, er kommt mir freudestrahlend entgegengelaufen. Unsere kleine Kita ist unter der Woche verwaist, da wir für alle einen Kitaplatz finden konnten. Unglaublich wie schnell sie dort beim gemeinsamen Spiel mit den Berliner Kindern Deutsch lernen. Die großen verwickeln einen schon in richtige Diskussionen. Ihrer Schlagfertigkeit standzuhalten ist nicht leicht.

Jetzt nach einem Jahr stehen wir wieder vor neuen Herausforderungen. Die Halle ist nur zur Hälfte belegt, der Termin für die Räumung der Halle noch immer nicht klar. Bei den Bewohnern nehmen Frust und Ungeduld täglich zu. Trotzdem freue ich mich, das Team und die Bewohner noch weiter zu unterstützen.

JT

 

Sie wollen nur leben,

also folgen sie ihrem willen,

der mächtiger als die vom menschen produzierte lebenszerstörungshandlungen war.

Angekommen sind sie hier,

ihr wille strahlt über ihre schmerzen.

Sie wollen leben.

Ich habe es verstanden,

ich fühle das leben mit ihnen,

das mächtiger ist, als äußere zustände.

Jetzt sind wir hier zusammen in der selben Halle geladen, mein wille ist nicht anderes als ihrer.

Ich muss tun was ich kann,

um die, in ihrem willen zu unterstützen.

Diese halle hatte ihm dabei verholfen

Sich im leben zu halten.

Und sie wollen weiterhin nur leben.

SR

 

Bin jetzt einige Wochen in der NUK. Es ist vieles anders als ich mir es vorgestellt habe. Ich sehe Menschen, die ausharren und dabei doch sehr ruhig mit ihrer Ungewissheit umgehen. Es ist manchmal nicht leicht den Menschen beizubringen, dass auch diese Zeit zu Ende gehen wird. Ich versuche es mit etwas Humor und man sieht auch das Lachen – es ist gut so. Ansonsten ist mein Handeln auf sehr wenig eingeschränkt, aber dies nutze ich um den Leuten ein wenig Hoffnung zu geben. Ich bin immer noch gerne hier.

RG

 

Es ist ein Jahr vergangen seit dem Tag im November letzten Jahres, an dem wir unsere Bewohner zum ersten Mal gesehen und kennengelernt haben. Ein Jahr voller angenehmer und nicht so angenehmer Erlebnisse, ein Jahr voller Herausforderungen, ein Jahr voller Hoffnungen und auch Enttäuschungen.

Fast jeden Tag wunderte es mich, wie tapfer die neuangekommenen Menschen in einem für sie ganz fremden Land versucht haben zurecht zu kommen. Die Hürden, die sie vor sich hatten, schienen am Anfang fast unüberwindbar zu sein: Unendliche Behördengänge, fremde Sprache, schwer verständliche Vorgänge und nicht selten auch die Fremdenfeindlichkeit. Deshalb machten die Erfolgserlebnisse einen umso mehr glücklich.

Viele unsere Bewohner haben in diesem einem Jahr vieles erbracht und erreicht: Deutsch gelernt, Sprach- und Integrationskurse besucht, Freunde im neuen Land gefunden, Studium oder Lehre angefangen, Arbeit gefunden, Wohnung oder WG gefunden. So befinden sie sich auf einem guten Weg zur erfolgreichen Integration.

BK