achtsamkeit_lars_friedrichSeit April befinde ich mich im Zusammenhang mit meiner Anti-Mobbing-Arbeit in einer Ausbildung zum Mediator. Im Mediationsverfahren werden Konflikte mit den Konfliktpartnern bearbeitet, indem die beteiligten Personen mit Unterstützung des Mediators ihre unterschiedlichen Positionen darlegen, ihre Interessen klären und eine für alle Beteiligten einvernehmliche Lösung erarbeiten. Der Mediator ist allparteilich und versteht sich als Spiegel der Konfliktpartner indem er aktiv zuhört und das Gesagte wiederholt und zusammenfasst.

Während der Ausbildung ist mir das Wort ACHTSAMKEIT des Öfteren aufgefallen. So dass ich angefangen habe, mich mit diesem Wort zu beschäftigen.

Das Wort achtsam lässt sich auf alte Wurzeln zurückführen, auf das althochdeutsche Wort „ahta“ was soviel wie Aufmerksamkeit, Beachtung schenken und Fürsorge beinhaltet. Es kommt auch in dem gotischen Wort „aha“ vor, was übersetzt „Sinn und Verstand“ heißt. Somit ist das Wort Achtsamkeit – klar getragen von: Achtsam sein auf etwas; Acht geben; aufmerksam sein; beobachten und wahrnehmen. Immer bezogen auf den gegenwärtigen Moment. Beim Achtsam sein nehme ich die Gegenwart als Bezugspunkt. Denn die Gegenwart ist die einzige Zeit, die mir zur Verfügung steht, um etwas zu gestalten. Die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft ist noch offen. Wir leben im Jetzt und Hier! Die Gegenwart zählt! Mit dieser Erkenntnis spüre und erlebe ich meine Zugehörigkeit und meine Verantwortung für die Welt und kann diese sinnvoll mit gestalten.

Ganz schön hochtrabend könnte man meinen? Sicherlich, aber versuchen Sie es doch mal, lassen Sie sich auf den Augenblick ein, auf den Moment, auf das Hier und Jetzt. Zum Beispiel beim Apfel essen: seht, fühlt, riecht und schmeckt. Wie sieht das Stück Apfel aus? Wie fühlt es sich an? In der Hand – auf der Zunge. Riecht der Apfel? Wie schmeckt er, wenn ich langsam kaue?

Dasselbe können Sie, zum Beispiel mit einem guten Glas Rotwein oder mit einer Blume tun. (Auch manche Blumen kann man essen!) Probieren Sie es aus und Sie werden merken: Sie nehmen die Dinge hinterher anders wahr.

Ein anderer Teil von Achtsamkeit ist die Balance zu halten zwischen Acht geben „auf einen anderen Menschen“ und gleichzeitig auch auf sich selbst Acht zu geben. Oft erlebe ich Menschen, besonders die im sozialen Bereich arbeiten, die „auf andere Menschen“ Acht geben, z.B. in der Erziehung oder in der Pflege, aber sich selbst aus den Blick verlieren. Kaum noch einen Zugang zu sich haben, weder zum Körperlichen noch zum Seelischen. Dies geht nicht lange gut! Meist werden die Menschen krank an Leib und Seele und können bald dem Gegenüber nicht mehr helfen. Schon in der Bibel steht: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ Also die Selbstliebe ist genau so wichtig, wie die Nächstenliebe.

Es fällt uns schwer auf uns zu schauen. Wer bin ich? Was will ich und was will ich nicht? Welche Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte habe ich? Kann ich zugeben: Ich schaffe das Jetzt nicht!

Mir persönlich fällt es schwer mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Meine Erfahrung ist, wenn ich dies muss, überfordere ich mich und mein Gehirn oft und am Ende werden die Dinge meist auch nicht in der Qualität, wie ich sie mir wünsche. Zum Beispiel zuhören und gleichzeitig schreiben! Geht gar nicht! Mein Ansatz ist: ich versuche die Dinge nach einander zu tun, jeder Aufgabe die richtige Aufmerksam zu geben und dadurch merke ich, ich tue diese Dinge auch bewusster. Erst aktiv zuhören und dann aufschreiben. Hier sehe ich auch viele Anknüpfungspunkte an den Artikel von Saskia Valle über Multikaskingfähigkeit im Juni dieses Jahres.

Es fällt uns schwer, Zeit für das Eigene zu finden, die Freizeit zur Eigenzeit werden zu lassen. Wir lenken uns permanent ab, wir saugen die Antreiber in uns auf: Geld und Wohlstand muss erarbeitet werden, konsumieren will ich und kann alles haben, Kommunikation – ich bin immer und überall erreichbar und Planung ist alles! Wir achten gar nicht mehr auf unseren Rhythmus. Bei der Entscheidung für Eigenzeit geht es um den angemessenen Wechsel von Ruhe und Bewegung, von Spontanität und Planung, von Spannung und Entspannung und von Alleinsein und Geselligkeit. Dinge bewusst und langsam tun. Entschleunigung birgt viel Qualität. Oft schränken wir das Gelingen unseres Tuns ein, indem wir nicht auf die räumlichen und zeitlichen Bedingungen achten. Vielleicht sollte ich mal den Schreibtisch aufräumen oder lieber doch spazieren gehen? Ach nein, denn da klingelt schon das Telefon! Und schon wieder bin ich von außen inspiriert und ich muss nicht auf meine inneren Prozesse achten. Die Band „Element of Crime“ hat ein Lied geschrieben, was „Lieblingsfarben und Tiere“ heißt. Darin beschreiben sie nach meiner Meinung sehr gut den Kern des Problems. Ich muss nicht immer erreichbar sein! Ich kann auch mal entscheiden mich zurückzuziehen und mich treiben lassen, träumen und so mein inneres Ich in mir wahrnehmen.

Die Hausfrau oder der Hausmann hat sich angewöhnt, sofort nach dem letzten Bissen abzuräumen und abzuwaschen. Alle kauen schon hastiger und das Geklapper verhindert angenehme Gespräche und Gefühle. Eine kleine Mittagsruhe oder Zeitung lesen wäre vielleicht für alle schöner, wenn vorher alle gemeinsam die Küche aufgeräumt haben. Es geht darum, auch auf die Gunst der Stunde zu achten. Den Schreibtisch muss ich vielleicht gar nicht aufräumen, sondern ich stelle einfach eine schöne Blume in die Unordnung. Und dies fühlt sich gut an! Das Telefon habe ich abgestellt und der Fernseher bleibt aus. Durch solch kleine Veränderungen kann unser Handeln viel entspannter, aufmerksamer und befriedigter werden.

Ich habe gelernt, Achtsamkeit als Chance des Innehaltens zu verstehen. Bei Achtsamkeit geht es darum, Dinge bewusst zu tun. Das Müssen durch das Wollen zu ersetzen und sich etwas Gutes zu tun.

                        Wie erholen Sie sich?             Können Sie abschalten und entspannen?

ein Buch lesen                        spazieren gehen            Rad fahren            fernsehen                        schlafen                                                ein gutes Gespräch führen            ein gutes Glas Wein trinken            ein Spiel spielen             joggen                        ein Bad nehmen                        etwas schöne kochen

Ich wünsche Ihnen/ Euch eine schöne Ferien- und Urlaubszeit mit vielen Momenten der Entspannung und Entschleunigung. Geben sie Acht auf sich und tun sie sich etwas Gutes!

Sonnige Grüße Lars Friedrich
Integrationserzieher,
Anti-Mobbingbeauftragter und Diakon

 

Literatur:
Wikipedia
Claudio Hofmann, Achtsamkeit, Klett-Cotta, Stuttgart 2002
Element of Crime, Lieblingsfarben und Tiere, 2014