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Die Erlebnisswelt nach dem Fall der Mauer und der darauf folgenden Wiedervereinigung ist immer von dem Hintergrund geprägt, dem man persönlich einnimmt und wie sich diese Tage rasanter Veränderungen aus eigener Sicht gestaltet haben. Nicht nur der regionale Standpunkt, auch das Alter spielen eine große Rolle, wie man die Dinge heute empfindet und bewertet.

Manuela Kolinski, Projektleiterin im Gutshaus Lichterfelde, nutzt die Themen der Stadtteilzeitung manchmal, um mit ihren Gästen ins Gespräch zu kommen. Auf den Mauerfall angesprochen, fand sie besonders interessant, dass mehrere Gäste ihr Unverständnis äußersten, dass besonders im Osten des Landes viele Menschen gegen die Integration der Flüchtlinge sind. Gerade diese Menschen müssten ihrer Ansicht nach wissen, was für ein wertvolles Gut Freiheit und Sicherheit ist. Sie hätten sich bei Mauerfall besonders über ein Willkommen und über Unterstützung gefreut. Die Gäste vermuteten, dass diese Ablehnung der Angst entspringt, selber etwas abgeben zu müssen. Die Selbstverständlichkeit, alle Annehmlichkeiten anzunehmen, andererseits sich aber gegen fremde Menschen zu stellen, erschüttert doch das Denken mancher Menschen, denen die Flüchtlinge an den innerdeutschen Grenzen vor dem Fall der Mauer noch sehr im Gedächtnis haften.

Als die Mauer geöffnet wurde, waren speziell Berliner unsicher und ängstlich, wo all die Menschen hin sollten, erzählte ein älteres Ehepaar. Aber trotz der Angst waren alle glücklich, dass das Land wiedervereint war. Letztendlich wurde es in gute Gleise gelenkt und da die Situation mit den heutigen Flüchtlingen ähnlich ist, hofft dieses Ehepaar, dass sich auch diesbezüglich mit der Zeit eine positive Einstellung entwickeln lässt.

Auch im „kieztreff“ in dem Rita Schumann mit ihren Gästen gesprochen hat, vermutet eine Frau um die 50 Jahre, dass die Deutsche Einheit mit der nächsten Generation erst wirklich vollbracht sei. Bei den unter 35jährigen spiele es kaum noch eine Rolle. Eine ehemalige Ostbürgerin lobt mit ihren 76 Jahren besonders die Reisefreiheit, auf die sie viele Jahre verzichten musste. Eine weitere Frau sagt: „Die Bilder, die ich zur Zeit sehe, wenn Flüchtlinge in Deutschland ankommen und herzlich begrüßt, beklatscht und willkommen geheißen werden, erinnern mich an den 9. November 1989, als sich die deutsche/deutsche Grenze öffnete. Die Freude, die man bei den Ankommenden und den Begrüßenden sieht – ist fast identisch. Das fühlt sich gut an und gibt Hoffnung – Dass sich auch diese Herausforderung genauso gut bewältigen lässt, wie die deutsche Einheit. Es ist noch nicht alles perfekt mit der deutschen Einheit, die Löhne sind immer noch nicht gleich hoch und einige andere Dinge sind noch nicht o.k., aber das wird auch noch bewältigt. Es war und ist der richtige Weg.“

Den richtigen Weg muss wohl jeder für sich selber finden. Sicher ist, dass noch viel getan werden muss um die Einheit perfekt zu machen. Welches der richtige Weg ist, bleibt wohl – wie die eigene Sicht – sehr persönlich.

Monika Zwicker hat den Mauerfall und die Deutsche Einheit in West-Berlin erlebt:

Es gibt Ereignisse, die ungeübt und ohne Zugriff auf Erfahrungen bewältigt werden müssen. Der Mauerfall und die Wiedervereinigung gehören dazu. Vom Mauerfall (9. November 1989) bis zur Wiedervereinigung (3. Oktober 1990) vergingen 11 Monate. Verständlicher Weise überschlugen sich in diesen 11 Monaten die Ereignisse und Vieles hätte anders geregelt werden können, doch wäre es zwingend besser gewesen?

Die Wiedervereinigung war für mich eine notwendige Folge des Mauerfalls und ich war voller Vertrauen und Zuversicht: Alles wird gut! Mit viel Optimismus habe ich die Zukunft eines vereinten Deutschlands gesehen. Doch ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Nach der ersten, verständlichen Euphorie, waren, besonders in der Arbeitswelt, sehr schnell Vorurteile zu hören. So war z.B. im westlichen Teil Berlins zu hören: „Die aus dem Osten können nicht arbeiten.“ Ein Vorurteil, dass ich nicht bestätigen konnte. Ich habe zu dieser Zeit in einer Pension am Ku‘damm an den Wochenenden als Zimmermädchen gejobbt. Als sehr gründliche Arbeitskraft, war ich akzeptiert, aber zu langsam und meine Chefin gab mir den Rat, einiges von der Arbeitsweise meiner Kollegin zu übernehmen. Sie hatte es drauf. Sie hatte ein Blick dafür, was unbedingt getan werden muss und was für die nächste Grundreinigung liegen bleiben kann. Ja, was soll ich sagen, diese Kollegin kam aus „Ost-Berlin“ und sie konnte arbeiten.

Auch war plötzlich die, so oft unbequeme und verfluchte Insel West-Berlin verschwunden. Meine ersten Gedanken waren: Nun wird Berlin endlich eine richtige Großstadt. Sie wird wieder Hauptstadt, ja sie wird mit Sicherheit, in der Mitte Europas, eine Weltstadt und ich muss nicht mehr nach Paris fahren, um Großstadt zu erleben.

Die vielen Bedenken einiger Freunde und Kollegen um mich herum habe ich nicht hören wollen. Heute ist mir klar, dass die „Insel West-Berlin“ durch ihren besonderen Status auch etwas Beschützendes hatte. Die Arbeitsplätze waren sicher, da „West-Berlin“, zum Ärger vieler „Bundesbürger“, eine subventionierte Stadt war. Auch bot sie Schutz für viele junge Männer, die nicht zum Bund wollten.

Ich habe gelernt und lerne immer noch in einer vereinten Groß-, Welt- und Hauptstadt zu leben, mit all ihren Problemen und Vorzügen. Doch eins liegt mir nach 25 Jahren Deutscher Einheit immer noch auf der Seele und macht mich zunehmend wütend. Es ist ein Problem der ersten Stunde. Es ist das Problem, dass Deutschland noch auf vielen Ebnen in Ost und West aufgeteilt wird. Insbesondere und überwiegend tragen dazu die verantwortlichen Volksvertreter bei. Nicht nur, dass z.B. die Altersversorgung zwischen Ost und West unterscheidet, nein, es wird auch noch Konkurrenz geschürt und anstelle von Solidarität treten Schuldzuweisungen.

Ich möchte zu bedenken geben: Es muss Zufriedenheit und Gerechtigkeit bestehen, um die Notwendigkeit, sich für Zufriedenheit und Gerechtigkeit ein zusetzten, nicht in Fanatismus enden zu lassen.

In diesem Sinne, viel Freude am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit.

Monika Zwicker

Melanie Zimmermann erlebte Kindheit und Jugend im Osten:

Den Fall der Mauer habe ich mit 18 Jahren erlebt. Damals war ich im Internat zur Ausbildung als Kindergärtnerin in Luckenwalde. Es gab nur wenige Fernseher und kaum Radios. So wollte ich es gar nicht glauben, als eine Mitschülerin in der Pause erzählt hat, dass die Mauer auf ist.

Es passierte an einem Donnerstag, sofort nach Hause fahren durften wir damals nicht und mussten bis Samstag warten (wir hatten damals noch Samstag Schule). Erst dann konnten wir fahren und ich bin mit meinen Eltern am selben Abend über die Glienicker Brücke gelaufen. Wer das lange Stück von Potsdam bis Wannsee kennt, weiß wie lange wir laufen mussten, um endlich etwas vom „Westen“ zu sehen. Beeindruckt hat mich besonders die Leuchtreklame überall, das gab es bei uns nicht.

Tage später waren wir am Kudamm. Da war es so richtig bunt und voll. Das erste mal Shoppen waren wir in Wilmersdorf und wir lachen heute noch, weil wir uns am Eingang von C&A getrennt hatten und uns dort wieder verabredet haben. Keiner von uns wusste, dass ein Kaufhaus so viele andere Ein- und Ausgänge hat und so stand jeder woanders. Und das in einer Zeit ohne Handy. 🙂

Gefreut habe ich mich besonders über die deutsche Einheit, weil unsere Familien ziemlich Ost-West zerstreut waren. So konnte mein Vater endlich seine Cousine in Hamburg besuchen, ohne lästigen Antrag. Meine Mutter sah ihren ältesten Bruder im Ruhrgebiet wieder. Geschockt haben mich im „goldenen Westen“ die vielen Bettler. Auch das gab es im Osten nicht.

Als ich dann im „Westen“ arbeitete, haben mir meine Kollegen immer gesagt: “Man merkt gar nicht, dass du aus dem Osten kommst.“ Ich habe oft überlegt, was ist typisch Ost und was typisch West? Vielleicht liegt es daran, dass wir am Randgebiet zu Berlin lebten? Vielleicht ist die 70er Generation da auch etwas entspannter. Empört war ich einmal in den Neunzigern, als der entfernte Onkel von meinem Mann aus Hessen zu Besuch kam – reich wie Dagobert Duck, im Wohnwagen. Er wollte durch den Osten fahren um sehen, wo sein Solidaritätszuschlag verprasst wird. Fand ich schon beschämend, weil die Ostbürger diesen Solidaritätszuschlag ja auch zahlten. Ich freue mich trotzdem noch heute über die deutsche Einheit, die viele Familien wieder zusammen geführt hat.

In Bezug auf meine Kinder finde ich einfach toll, dass sie selber entscheiden dürfen, wohin sie reisen wollen und später einmal leben wollen. Ich kannte nur die Ostländer als Kind. Natürlich braucht man dafür heute auch das nötige Kleingeld. Reisen war im Osten für alle bezahlbar. Ich hatte eine schöne Schulzeit. Da gab es keine Unterschiede. Alle Kinder sind 10 Jahre zur Schule gegangen, einige später auf die erweiterte Oberschule um das Abitur zu machen. Nach der 10. Klasse hatten allen Schüler einen Ausbildungsvertrag oder Studienplatz in der Tasche. Das wurde schon ab Klasse 8 organisiert. Heute ist es alles viel komplizierter. Meine Kinder müssen zum Beispiel einen langen Schulweg auf sich nehmen, weil sie die Gymnasien in Potsdam besuchen. Und auch die Unterschiede im Schulsystem von Bundesland zu Bundesland sind sehr verwirrend. Schön waren in meiner Kindheit die Ferien. Wir waren immer mit anderen Kindern im Ferienlager, haben schöne Tage und Wochen dort verlebt. Und danach waren wir immer an der Ostsee. Diese Urlaube und Ferienlager wurde über die Betriebe der Eltern organisiert.

Mein Glück war, dass ich die Wende relativ jung erlebt habe. Ich konnte noch so Vieles neu umsetzen. So musste ich nach nichtbestandener Führerscheinprüfung dann die Theorie noch mal für den Westen machen. Aber ich konnte viel reisen, habe an der Volkshochschule noch einmal Spanisch gelernt.

Meine Kinder fragen oft nach, wie es damals war. Auch weil mein Mann und ich uns damals, gleich nach der Wende gefunden haben, dabei wir kannten uns schon als Kinder. Lustig ist, dass die beiden Kinder schon seit Jahren in das gleiche Ferienlager fahren – nach Prebelow in der Nähe von Rheinsberg, wo ich als Kind sehr oft gewesen bin.

Melanie Zimmermann