Charkow 1

… vor gar nicht all zu langer Zeit…

Teil III Kiew-Charkow-Kiew-Berlin

Dies ist nun der 3. Teil meines „kleinen“ Berichts und hier sollte meine Reise erst so richtig losgehen. Nach unserem Besuch im Kulturministerium saßen wir endlich im Zug Richtung Charkow. Wohl bemerkt in einem Schnellzug der uns in ca. 5 Stunden nach Charkow bringen sollte. Die Schnellzugtrasse wurde zur EM 2012 gebaut und ist eine der wenigen guten und nachhaltigen Hinterlassenschaften der UEFA. Interessiert hätte mich, wie lange man vorher mit dem Zug für diese Strecke gebraucht hätte. Diese Frage warf sich mir auf, als ich mich mit einem jungen Ukrainer unterhielt. Er erzählte mir, dass er in Polen arbeitet und seit 2 Tagen unterwegs ist um seine Eltern zu besuchen die in der Nähe von Charkow wohnen. Seit dem die deutsche Bahn die Verbindungen in den Osten Europas fast eingestellt hat, ist es wesentlich schwieriger geworden sich in diese Richtung ohne Auto oder Flieger zu bewegen. Da die Preisentwicklung für Zugtickets nicht nur hierzulande stetig nach oben zeigt, kommt dies als Problem noch hinzu.

Die Zugfahrt verlief recht ruhig da jeder irgendwie mit sich selbst beschäftigt zu sein schien, wodurch mir Zeit blieb die Landschaft genauer zu betrachten. Trist, in etwa so kann man die Landschaft beschreiben, die da draußen vorbei flog. Das Wetter gab dem Ganzen dann noch einen grauen Anstrich. Viel beschreiben kann ich hier nun wirklich nicht, doch sind mir zwei Sachen aufgefallen. Da ich meinen ukrainischen Sitznachbarn hatte, wurde dieser auch gleich dazu interviewt. Mir sind immer wieder verbrannte Stellen oder Flächen, hauptsächlich in der Nähe von Dörfern aufgefallen. Wie mir erklärt wurde, entsorgen die Menschen die dort Leben so ihren Müll. Für umweltbewusste Westeuropäer ein absolutes „NoGo“ – hier aber kein Grund Greenpeace auf den Plan zu rufen. Durch die mangelhafte, unregelmäßige Müllentsorgung bleibt den Menschen nichts anderes übrig als ihren Müll hinterm Haus zu verbrennen. Der Umgang mit der Umwelt und das Bewusstsein darüber ist ein ganz anderes als in unseren Breitengraden.

Ebenso scheint es bei Belangen zu sein, die die Bevölkerung betreffen. Die Schnellzugtrasse führte häufig durch Dörfer und Kleinstädte, wo es keinen Schallschutz oder ähnliches gab. Sie wurde für die Besucher der EM gebaut, war Prestigeobjekt und ohne Rücksicht auf Umwelt oder Menschen gebaut worden. In der Ukraine sind solche Angelegenheiten einfach noch überhaupt kein Thema, was mir auch die Reaktion meines Sitznachbarn verriet, der mich etwas verständnislos anschaute, als ich ihm erzählte, dass das bei uns niemals möglich wäre.

Charkow 2Gegen 18:30 Uhr trafen wir in Charkow ein und fuhren mit vorher organisierten Bussen zum Hotel in der Innenstadt. Bis alle ins Hotel eingecheckt hatten und den Weg zurück in die Hotellobby gefunden hatten, war es inzwischen 20:30 Uhr und unsere Gäste warteten schon im Restaurant um die Ecke. Unsere Gäste waren Olga und Dimitri vom Deutschen Zentrum in Charkow. Die beiden begleiteten uns schon, seitdem wir in den Zug gestiegen waren. An diesem Abend ging es nur noch darum, welches Programm die beiden für uns ausgearbeitet hatten. Ok, dachte ich mir noch nach der Programmvorstellung… „Das hört nach Arbeit an, aber doch recht entspannt“. Dass wir viel unterwegs sein würden war klar. Dass jetzt mein wirklicher Auftrag erst losgehen sollte, auch. Aber die Realität sah dann doch etwas anders aus. Aber der Reihe nach…

Um ca. 7 Uhr war Frühstück mit reichlich Kaffee angesetzt, Koffein entwickelte sich hier für mich zum reinen Lebensretter. Etwas überdreht, weil doch zu viel Kaffee, trafen wir uns mit Anna (Mitarbeiterin des Deutschen Zentrum Charkow) und Max unseren Stadtführern für den heutigen Tag. Der Stadtrundgang war wirklich sehr aufschlussreich, doch bei leichtem Schneetreiben und um 0 Grad Celsius nicht sehr angenehm. Ein kleiner Tipp für alle, die sich überlegen im Frühjahr der Ukraine einen Besuch abzustatten: Unbedingt Wintersachen mitnehmen! Wir waren alle recht froh, wenn wir ein Gebäude von innen besichtigen durften. Weitere Details erspare ich mir jetzt hier, nicht dass mich Architektur und Geschichte nicht interessieren würden, aber unter diesen Bedingungen und mit der falschen Kleidung war der Rundgang für mich eher eine Qual. Vor lauter Zähneklappern habe ich leider auch nur die Hälfte verstanden. Trotz der unschönen Wetterlage haben sich unsere Stadtführer alle Mühe gegeben uns einen Einblick in die Geschichte der Stadt und ihrer Architektur zu geben. Als wir unseren nächsten Termin um 14 Uhr im Deutschen Konsulat hatten, waren wir recht froh wieder im warmen sitzen zu können.

Charkow 3 Thema unseres Termins war, uns einen Überblick über die aktuelle Situation in Charkow zu geben. Auch hier ging es wieder, ähnlich wie bei unserem Treffen der Deutschen Botschaft darum, wie man bestehende Strukturen verbessern und neue eventuell aufbauen könnte. Hauptsächlich wurde dabei die medizinische Versorgung, so wie sie zurzeit bereitgestellt wird, erläutert und welche Überlegungen es zur Verbesserung gibt. Alle Vor- und Beiträge wurden auf Englisch gehalten und es gab leider keinen Dolmetscher. Englisch bereitet mir normalerweise keine größeren  Schwierigkeiten, doch bei der Geschwindigkeit und reichlich Fachbegriffen musste ich irgendwann die Segel streichen. Um nun hier nichts falsches zu berichten möchte, ich nur ein kleines Beispiel geben, bei dem ich mir sicher bin, es verstanden zu haben. Auch in der Ukraine gibt es die medizinische Versorgung die auf Polikliniken und Ärztehäusern aufgebaut ist. Und ähnlich wie in Deutschland, nach der Wende, gibt es hier die Überlegung diese Strukturen neu zu ordnen. Das hieße, dass Ärzte eher wieder in einzeln Praxen arbeiten sollten. Argumente für die Polikliniken sind z.B. das teure Apparate wie Röntgengeräte und Räume gemeinsam genutzt werden können, die Verwaltung ist zentral gelagert und Ärzte erhalten ein festes einheitliches Gehalt. Krankenkassen erwarten geringere Kosten und fordern daher auch politisch den Erhalt der Polikliniken ein. Für die Patienten selbst ist es natürlich sehr praktisch, wenn sie z.B. bei Weiterbehandlungen innerhalb der Polikliniken kürzere Wege oder Fahrstrecken haben. Das wichtigste Argument, wie ich finde, ist dass die Ärzte durch die festen Gehälter eher die Behandlungsmethoden nach medizinischen Aspekten auswählen und nicht danach, wie sie ihren Gewinn maximieren können. Hier ist die Korruption wohl auch ein großes Thema, welches ich später noch kurz anreißen werde. Was spricht nun aber gegen diese Art von Kliniken? Lässt man die Argumente der Korruption und Gewinnmaximierung außer Acht, fallen mir hier nur positive Argumente auf. Man setzt sich in die Bahn, ins Auto oder aufs Fahrrad und ist irgendwann beim Arzt. Der kann dann einen – falls nötig – direkt zu einem weiterbehandelnden Arzt im 4. Stock schicken. Dieser braucht eine Blutprobe, die dann im Labor im 2. Stock genommen wird und so weiter… Eine praktische Sache, oder? Wenn man bedenkt, dass die Polikliniken an zentralen Orten – also meist in größeren Städten zu finden sind und wenn man die Straßenverhältnisse in den ländlichen Regionen berücksichtigt, kann man sich vorstellen, dass es für viele Patienten sehr viel leichter wäre eine Arztpraxis im Ort zu haben. Der junge Ukrainer, den ich im Zug nach Charkow traf (siehe oben), erzählte mir auf meine Frage, wie weit denn Charkow von der russischen Grenze entfernt sei, dass man mit dem Auto aus seinem Heimatort ca. 1 ½ Stunden brauchen würde. Ich folgerte daraus, dass es also ca. 100 bis 120 Km bis zur russischen Grenze sein müssten. Google sagte mir dann, dass es gerade mal die Hälfte ist. Gerade für ältere Menschen oder dringende Fälle kann das zu einem großen Problem werden. Ebenso werden die Wartezeiten sich nicht gerade verringern. Das größte Argument gegen die Polikliniken schien mir aber zu sein, dass die Sorge besteht, dass durch die Gleichsetzung der Arztgehälter die Bereitschaft für mehr Arbeit und Innovationen drastisch sinken würde. Wenn ich an den Besuch in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Kiew (siehe oben) denke und daran, dass sich Ärzte nach Feierabend dort um die Leute kümmern und sehr großes Engagement aufbringen, zeigt mir das wie tief hier ein Misstrauen gegenüber Berufsständen, die vielleicht früher mit Korruption in Verbindung gebracht wurden, noch in den Köpfen steckt und auch so leicht nicht wieder raus zubekommen ist. Andererseits zeigt dieses Beispiel mir aber auch, dass es ein Bewusstsein dafür gibt dieses Problem offen zu bekämpfen.

Offen gestanden war für mich dieser Kongress etwas mühsam. Zwar war das Ganze sehr informativ und auch interessant aber ich wollte ja nun endlich die Schule sehen und mit meiner Kooperation anfangen, von der ich nicht im geringsten Ahnung hatte, wie das aussehen könnte. Sehr schön war allerdings, dass ich im Konsulat Maria kennenlernen konnte. Maria ist Deutschlehrerin an der „Boikow-Schule“ und sollte meine wichtigste Kontaktperson sein, mit der ich zusammen die Kooperation auf die Beine stellen sollte. Dass wir uns vorab schon kennenlernen konnten, war super. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden und ich war mir sicher, dass wir weiterhin gut zusammen arbeiten würden. Vom Konsulat ging es zu Fuß zu unserem Restaurant, in dem noch ein Treffen mit Journalisten angesetzt war. Das Interesse der zwei Journalisten drehten sich hauptsächlich um die Themen die schon im Konsulat vorgestellt wurden und ich denke, ich habe das in dem oben beschriebenen Beispiel genügend ausgeführt. Maria und ich waren ohnehin mehr damit beschäftigt, uns gegenseitig auszufragen. Hiermit möchte ich diesen Tag dann auch schon abschließen, denn morgen sollte es endlich auch für mich mit der Schule und der Arbeit los gehen.

Eigentlich war mein Bericht auf drei Teile angelegt, doch beim Schreiben wurde mir schnell klar, dass der dritte Teil doch etwas länger werden würde. Außerdem finde ich, dass der Schluss der Reise einen eigenen Artikel verdient hat. Ich bedanke mich bei schon mal bei meiner Leserschaft, die bis hierhin durchgehalten hat und um die Spannung und vielleicht auch Vorfreude hoch zu halten, ist der nächste Absatz mit Links schon mal ein Vorgeschmack, was als nächstes kommt.

Bevor ich nun versuche, die nächsten beiden Tag zu beschreiben, möchte ich hier vorher etwas erklären. Diese Tage waren die intensivsten, die ich auf der ganzen Reise erlebte und wenn beim Versuch diese zu beschreiben etwas Vergessen wird oder mit Absicht weggelassen wird, ist dies ganz einfach der Menge an Ereignissen geschuldet. Wer sich noch mehr und genauere Informationen einholen möchte, für den lasse ich hier ein paar Links die dabei hoffentlich hilfreich sind:

Private Boikow-Schule: https://www.boiko.com.ua

Flashmob: https://www.youtube.com/watch?v=klXc_wC_p5E&feature=youtu.be

Musical: https://www.youtube.com/watch?v=RCnhNXUzYpk

Henning Gnau
Ergänzende Förderung und Betreuung an der 10. ISS